Wem gebührt das Lebensversicherungs-Bezugsrecht eines vorverstorbenen Kindes?
Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte im Berufungsurteil vom 27.01.2022, 7 U 172/21, ZErb 8/2022, 316, darüber zu befinden, wie eine Lebensversicherungs-Bezugsberechtigung auszulegen ist, welche auf „die Kinder zu gleichen Teilen“ lautet, wenn eines der beiden Kinder bereits vor der Versicherungsnehmerin verstorben war.
Das Versicherungsunternehmen hatte sich um diese Frage nicht weiter gekümmert und die Gesamtleistung von immerhin EUR 306.713 einfach an die zum Todeszeitpunkt der Versicherungsnehmerin noch lebende Tochter ausbezahlt.
Die drei Kinder der anderen, bereits vorverstorbenen Tochter waren damit natürlich nicht einverstanden und mit ihrer Klage gegen die Tante in beiden Instanzen erfolgreich.
Sowohl das Landgericht Stuttgart als auch das Oberlandesgericht Stuttgart sahen in den drei Enkelkindern der verstorbenen Versicherungsnehmerin „Ersatzbezugsberechtigte“, obwohl § 160 Abs 1 des deutschen Versicherungsvertragsgesetzes (nahezu gleichlautend § 167 des österreichischen VVG) an sich Folgendes vorsieht:
„Sind mehrere Personen ohne Bestimmung ihrer Anteile als Bezugsberechtigte bezeichnet, sind sie zu gleichen Teilen bezugsberechtigt. Der von einem Bezugsberechtigten nicht erworbene Anteil wächst den übrigen Bezugsberechtigten zu.“
Bei dieser Bestimmung handle es sich lediglich um eine „gesetzliche Auslegungsregel, welche nur zur Anwendung gelangt, sofern nicht die vorrangige Auslegung der Bezugsrechtsbestimmung zu einem anderen Ergebnis führt“, und dies wäre nach Auffassung der Stuttgarter Richter im Gegenstand der Fall.
Maßgeblich sei nämlich „der bei der Festlegung des Bezugsrechts vorhandene und dem Versicherer gegenüber zum Ausdruck gebrachte Wille des Versicherungsnehmers, spätere Umstände sind grundsätzlich unerheblich“.
Der Versicherer als Empfänger dieser einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung „darf der Erklärung dabei nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen, sondern muss unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit prüfen, was der Erklärende gemeint hat“.
Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Versicherungsnehmer sich vom Kriterium der Gleichbehandlung leiten lassen, wenn sie eine gleichteilige Bedenkung der Kinder in ihrer Bezugsrechtsanordnung vorsehen.
Unabhängig davon, ob das jeweils betroffene Kind namentlich bezeichnet wurde oder nicht, sei es deshalb im Zweifel nicht als Person, sondern als „Erstes seines Stammes“ gemeint und kämen bei vorverstorbenen Kindern in weiterer Folge eben deren Abkömmlinge zum Zug.
Nicht minder richtungsweisend ist ein weiterer Hinweis in dieser Entscheidung, wonach die Beurteilung sowohl des „Deckungsverhältnisses“ (Versicherer – Versicherungsnehmerin – Bezugsberechtigte), als auch des „Zuwendungsverhältnisses“ (Verfügende – Begünstigte) dem allgemeinen Schuldrecht unterliegt und nicht nach erbrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen ist.
Insoferne wäre in derlei gelagerten Fällen fehlgeleiteter Auszahlungen der Versicherungssumme an sich der Versicherer und nicht die Erbin in Anspruch zu nehmen gewesen. Das spielte in der vorliegenden Konstellation aber letztendlich keine entscheidungsrelevante Rolle.
Wieder einmal zeigt dieser Fall, wie bedeutsam es ist, Bezugsrechtsanordnungen in Lebensversicherungsverträgen tunlichst derart eindeutig zu formulieren, dass es später bestenfalls zu keinen „Zweifelsfragen“ mehr kommen kann.
Für Erbrechtspraktiker bleibt es deshalb ein ewiges Mysterium, weshalb diese häufig mit sehr ansehnlichen Summen dotierten Verfügungen nicht mit gleicher Akribie und Sorgfalt ausgearbeitet werden, wie es bei letztwilligen Verfügungen mit anwaltlicher oder notarieller Begleitung üblich ist.
Von den hier meistens „federführend“ agierenden Versicherungsberatern darf jedenfalls – nicht zuletzt aus eigenem Haftungsinteresse – durchaus mehr Professionalität und zumindest die Hinterfragung der Grenzen eigener Expertise verlangt werden.
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