Der Joker gegen drohende Pflichtteilsminderung: Zuneigung!

Vermögende Menschen plagt am Ende ihres Lebens häufig chronischer Argwohn.

Nicht besser ergeht es ihren Angehörigen, die sich selbst möglichst optimal positionieren und nach dem Todesfall keine negativen Überraschungen erleben wollen.

Erbrechtsspezialisten verstehen diese Symptome nur zu gut. Ist es doch immer schon eine Frage des Timings gewesen, wer zuletzt den besten Draht zur Erbtante oder die geeignetste Strategie als verlorener Sohn im biblischen Sinne hatte. Sieger wird, wer die Feder des Testators im Finale am geschicktesten zu lenken vermag.

Das Erbrechtsänderungsgesetz 2015 (ErbRÄG 2015) bereichert nun diesen Reigen um eine weitere Facette.

Für Todesfälle ab 01.01.2017 werden nämlich die Zulässigkeitskriterien zur Pflichtteilsminderung auf die Hälfte personell von Eltern und Kindern auf Ehegatten und eingetragene Partner ausgedehnt. Zudem wird das (historische) Verhalten aller Beteiligten noch stärker in den Fokus gerückt.

Durften nach bisheriger Rechtslage Erblasser und Pflichtteilsberechtigte „zu keiner Zeit“ in einem Naheverhältnis stehen, wie es in der Familie zwischen solchen Verwandten gewöhnlich besteht, es sei denn, die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte mit dem Pflichtteilsberechtigten wäre grundlos abgelehnt worden, wird es künftig auch hinreichend sein, wenn man sich schon zum Errichtungszeitpunkt der letztwilligen Verfügung und „zumindest über einen längeren Zeitraum vor dem Tod des Verfügenden“ (laut Gesetzesmaterialien wenigstens zwanzig Jahre) nicht mehr ausreichend nahe stand.

Das Recht zur Pflichtteilsminderung bis auf die Hälfte verwirkt künftig bereits, wer den Kontakt zum Adressaten seiner Beschränkung grundlos „gemieden“ oder ihm „berechtigten Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben“ hat. Bisher war nur die grundlose „Ablehnung“ der Kontaktaufnahme schädlich.

Nähere Details zu den Nuancen und Auswirkungen dieser Änderungen finden sich in den Blogs vom 11.09.2015, Pflichtteilsminderung NEU ab 01.01.2017! und vom 16.10.2016, Kein Pflichtteilsminderungsrecht für den kaltherzigen Vater.

Es sollten also die „erbrechtlichen Alarmglocken“ klingeln, wenn sich nach Jahrzehnten der Trennung („Ehe nur noch auf dem Papier“) ein Ehepartner plötzlich wieder mehr gemeinsam verbrachte Zeit wünscht oder von Kindern ständig Einladungen zu Familienfeierlichkeiten einlangen, die früher jeden Kontakt strikt abgelehnt hatten.

Umgekehrt ist es aus strategischen Gründen jedem Pflichtteilsberechtigten dringend zu empfehlen, laufend und nachweislich (Einschreibebrief mit Rückschein!) den persönlichen Kontakt potenzieller Erblasser zu suchen.

Zuneigung ist also der Schlüssel, um dereinst wenigstens den ganzen Pflichtteil zu erhalten. Der Gesetzgeber unterscheidet allerdings nicht, ob sie echt oder gehäuchelt ist. Relevant bleibt allein das „gewöhnlich zwischen solchen Familienangehörigen bestehende Naheverhältnis“, der hergestellte „Kontakt“, seine „grundlose Meidung“ oder der „berechtigte Anlass“ dafür.

Ebenso, wie in jeder „normalen“ Familie wird es also auch hier am Geschick der Umworbenen liegen, sich mit geeigneten „Gründen“ elegant von dieser unerbetenen verwandtschaftlichen Umklammerung zu lösen.

Insoferne bleibt alles beim Alten!