Dem Tod mit Humor begegnen
„Ich wollte nie im Hospiz arbeiten“, begann Herr Werner Gruber unser Gespräch. „Was mache ich in einem Hospiz?“ Entgegen aller Erwartungen habe er aber dann doch gerade dort seinen Platz und in gewisser Weise wohl auch seine Erfüllung gefunden.
Martin Böker, dem Leiter der Hospizeinrichtung, war es nämlich mit einem Trick gelungen, den für seine geradezu ansteckend gute Laune bekannten Sozialarbeiter für sein Haus zu gewinnen. Er sollte schlicht und ergreifend in Österreich der erste Sozialarbeiter in diesem Berufsfeld sein. Das fand Werner Gruber amüsant und sagte zu. „Jetzt arbeite ich bereits elf Jahre in diesem Beruf und bin immer noch ein lebensfroher Mensch. Ich habe meinen Entschluss nie bereut, glaube hier sogar um einiges lebensfroher geworden zu sein, als ich es vorher war“, zeigt er sich heute durchaus zufrieden mit seiner damaligen Entscheidung.
Krank zu werden und zu sterben sei schließlich als Teil unseres Lebens anzuerkennen. „Schnell machte ich die Erfahrung, dass das hier etwas ganz Normales ist.“ Zum ersten Mal habe er einen toten Menschen gesehen und schön langsam immer mehr seine ursprünglich bestehenden Ängste abgebaut. „Ich machte die Erfahrung, dass es gar nichts Schreckliches ist. Wir alle können die Zeit nicht zurückdrehen. So wie es ist, so ist es. Aber man kann mit dieser Zeit vor dem Sterben, also mit dem Leben bis hin zum Schluss, irrsinnig viel tun“, zeigt sich Gruber überzeugt, der übrigens nicht nur Sozialarbeiter, sondern auch ausgebildeter Theater- und Spielpädagoge ist. Eigentlich sei er mittlerweile längst zu einer Art „Case-Manager“ geworden. Quer über die Grenzen zu anderen Einrichtungen ist er Ansprechpartner, wenn es um Neuaufnahmen im Hospiz geht. Zusätzlich schlägt er Brücken zwischen den Patienten, deren Angehörigen, den Ärzten, Therapeuten und Pflegern.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Johannes Kittl hat er die Initiative „Humor in der Pflege und in Palliative-Care“ ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, durch Humor Vertrauen zu schaffen und Barrieren abzubauen. Selten fragt Herr Gruber die Personen im Hospiz „Wie geht es Ihnen?“. Er bevorzugt: „Welcher Teil von Ihnen fühlt sich heute wohl?“ und manövriert so die Gesprächssituation elegant in eine weniger konventionelle Richtung. Das Herz des Patienten sei dann gleich ein Stück weiter offen.
Selbstverständlich kommt diese Art von Humor nicht immer und bei jedem gut an, weshalb sich der aufgeweckte Herr Gruber von Zeit zu Zeit durchaus auch kleinere Zurechtweisungen einhandelt. „Raus! Du behandelst mich, als wäre ich schon tot“, verwies ihn etwa eine Patientin einmal ihres Zimmers. „Sie hörte, wie ich am Gang gelacht hatte. Als ich aber zu ihr kam, gab ich mich gedrückt und zurückhaltend.“ Aber auch solche Erfahrungen sind lehrreich und wertvoll für ihn, um sich fortan einzelnen Charakteren und wechselnden Stimmungen noch professioneller anzupassen.
Ein anderes Mal, ganz zu Beginn seiner beruflichen Arbeit im Hospiz, meinte eine Schwester während einer Teambesprechung zu ihm, er solle aufhören zu lachen, schließlich sei man in einem Hospiz. „Damals war ich noch verunsichert, wusste nicht, ob ich den Job machen kann. Ein Kollege stimmte aber mit ein, schließlich haben wir uns total abgehaut, bekamen einen Lachkrampf. Auch der damalige Hospizarzt konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Schritt für Schritt konnten wir die Schwester überzeugen, dass Humor wichtig ist. Sie hatte ja auch gar keine andere Chance, weil wir weiterhin unsere Späße gemacht haben“, amüsiert sich Herr Gruber über seine Anfangsschwierigkeiten.
Seit Jahren veranstalten er und sein damaliger Kollege Johannes Kittl, der als Pflegedienstleiter im Hospiz arbeitete, laufend so genannte Humorseminare für das Pflegepersonal. Einladungen zu Vorträgen und Workshops in anderen Bundesländern, Deutschland und Südtirol lassen erahnen, welche Bedeutung dem Bereich Humor in der Pflege mittlerweile in Fachkreisen beigemessen wird. Längst liegt im Helga-Treichl-Hospiz (nunmehr Raphael Hospiz Salzburg) ein „Humortagebuch“ auf, mit dem lustige Begebenheiten oder witzige Sprüche von Patienten und Mitarbeitern dokumentiert werden.
Gerne erinnert sich Herr Gruber an einen ganz besonderen Patienten zurück. „Er war einer, der nie den Humor verloren hatte.“ Umgehend bot er dem Hospizmitarbeiter das im Haus keineswegs selbstverständliche Du an. „Du bist ein Lustiger, das gefällt mir. Erzählst Du mir einen Witz?“, hatte der 75-jährige Patient gefragt. Werner Gruber erzählte die geforderte Kurzgeschichte samt Pointe. „Weißt du was, du kommst ab jetzt jeden Tag zu mir und erzählst mir einen Witz“, so der Patient. Ab dem dritten Tag wollte er die Witze zusätzlich in schriftlicher Form erhalten. Um sie aufbewahren und jederzeit nachlesen zu können. Er sammelte sie in seinem Nachtkästchen. Werner Gruber willigte ein, allerdings unter einer Bedingung: „Der Deal für schriftliche Witze ist, dass du mir ebenso welche erzählst.“
Werner Gruber spürte stets die Freude des Patienten, wenn er zu ihm kam, um neue Pointen zu präsentieren. Lustige Geschichten wurden ausgetauscht. Ungefähr zehn Tage ging das so weiter. Erst danach entwickelten sich ernstere Gespräche. „Setz dich zu mir auf die Bettkante“, bat der Patient eines Tages. Plötzlich erzählte er seinem Witzelieferanten vom schmerzlichen Verlust seiner Lebensgefährtin, die kurz zuvor verstorben war. Er sprach über seine Einsamkeit und die alles überschattende Trauer.
„Der Einstieg zu diesen sehr persönlichen Gesprächen, in welchen er mir Dinge mitteilte, die kaum jemand wusste, war der Humor. Ich denke, er hat mich auf diese Weise abgecheckt“, ist Herr Gruber überzeugt. Dieses ganz besondere Vertrauensverhältnis erleichterte es dem Patienten schließlich, einen lang gehegten Wunsch zu äußern, der ihm eigentlich peinlich war.
Er hatte immer schon ein Faible für Gartenzwerge. Das war mehr als nur ein Hobby. Der Mann liebte seine kleinen stummen Freunde richtiggehend. An einem bewölkten Herbsttag nahm der 75-Jährige Werner Gruber zur Seite und raunte ihm mit fragendem Blick zu, dass er sein Zimmer gerne mit einem Gartenzwerg samt Bambi schmücken würde. „Ich hab ihm gesagt, er sei verrückt. Und dann noch: Aber ich bin es auch. Das ist ja das Schöne daran“.
Werner Gruber war noch nie gut darin, Wünsche auszuschlagen. Leicht gestaltete sich die Suche nicht. Immerhin handelte es sich um ein ausgefallenes Modell, das sich sein gewitzter Patient gewiss nicht ohne schelmische Hintergedanken wünschte. Schließlich gelang es Herrn Gruber aber doch diese für Nichtspezialisten eher kitschige Skulptur aufzutreiben. Allerdings hatte der begeisterte alte Herr sogleich weitere Aufträge parat. Gartenzwerge in den unterschiedlichsten Ausprägungen sollten es sein. Irgendwann nahmen die erforderlichen Recherchen nahezu das gesamte Hospizteam in Anspruch. Einmal bat man sogar einen Radiosender um Unterstützung. Es galt nämlich ein besonders seltenes Exemplar zu finden. Einen Gartenzwerg mit Schubkarre. „Einen, der mich rüberbringt“, verstand es der Patient seinen Wunsch so gefinkelt zu formulieren, dass es natürlich niemand übers Herz gebracht hätte, ihm nicht sofort zu entsprechen.
Mit vereinten Kräften gelang es tatsächlich, auch diesen Gartenzwerg zu besorgen. Endlich konnte ihn der Patient in den Arm nehmen und verstarb am Nachmittag desselben Tages.
„Humor ist eine Lebenseinstellung. Was wir alle mitbringen und uns eint, ist der >Vogel<, den wir haben. Ein inneres Kind, das neugierig ist, das staunt und entdecken möchte. Allerdings hat dieses Kind einen großen Gegenspieler. Das ist die Kontrolle. >Wie wirkt es, wenn ich dieses und jenes mache? Was denken die anderen über mich?< So wird das Kind in uns immer weniger, wenn wir zum Erwachsenen werden“, bedauert Herr Gruber und bleibt dennoch überzeugt, dass wir unsere kindlichen Veranlagungen zeitlebens nicht verlieren. Es gelte nur, sie bei Bedarf wieder zu entdecken.
Aus dem Buch “Die Zeit der letzten Wünsche”