Verbot des Pflegeregresses erfasst auch „Alt-Pflegekosten“!

Bereits in seiner Entscheidung vom 30.01.2018 zu GZ 2 Ob 224/17f hat der Oberste Gerichtshof angedeutet, dass so genannte „Altverbindlichkeiten“ gegenüber Sozialhilferechtsträgern vom „Verbot des Pflegeregresses“ nach § 330a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetztes (ASVG) ebenfalls mitumfasst sein könnten (siehe dazu den Blog vom 20.04.2018).

Mit einer weiteren Entscheidung des zweiten Senats vom 30.01.2018 zu GZ 2 Ob 12/18f, EF-Z 2018/85, 174, und einer erst kürzlich veröffentlichten des ersten Senats vom 30.04.2018 zu GZ 1 Ob 62/18a, Zak 2018/364, 196, liegen nun bereits drei einschlägige Judikate des Obersten Gerichtshofs vor, die jeweils bekräftigen, dass vom Verbot des Pflegeregresses dezidiert auch jene Ansprüche der Sozialhilferechtsträger umfasst sind, die vor dem 01.01.2018 begründet wurden.

Da § 330a ASVG mit 1. Jänner 2018 in Kraft getreten und zu diesem Zeitpunkt anhängige Verfahren gemäß § 707a Abs 2 ASVG „einzustellen“ seien, könnten nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs in 2 Ob 12/18f Sozialhilferechtsträger seither keine Ansprüche mehr geltend machen gegen den Nachlass oder allfällige Geschenknehmer von Personen, die keine „Selbstzahler“ sind bzw waren.

Bestätigend wird im – soweit ersichtlich jüngsten – Erkenntnis vom 30.04.2018, GZ 1 Ob 62/18a, eine sehr ausführliche Begründung zur Rückwirkung des Verbots nachgereicht.

An sich sei eine Rückwirkung von Gesetzen nach der Zweifelsregel des § 5 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) zwar nicht vorgesehen und auch die Übergangsregel des § 707a Abs 2 ASVG enthalte keine ausdrückliche Rückwirkungsanordnung.

Dennoch lasse diese Bestimmung in Verbindung mit dem Wortlaut des § 330a ASVG „keinen Raum für Zweifel daran, dass der Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen oder … eines Erben nach dem 31. 12. 2017 unzulässig ist. Aus dem Umstand, dass der Verfassungsgesetzgeber auf den Zeitpunkt des Vermögenszugriffs abstellt, folgt zwingend, dass das in § 330a ASVG angeordnete Verbot auch dann zum Tragen kommen muss, wenn die Ersatzforderung (hier nach § 26 WSHG) auf einer stationären Aufnahme beruht, die zu Leistungen des Sozialhilfeträgers vor dem 1. 1. 2018 geführt hat. Insoweit enthält die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung die Anordnung, dass die geänderte Rechtslage auch auf bereits abgeschlossene Sachverhalte Anwendung findet.“

Selbst wenn – wie dies im Gegenstand der Entscheidung der Fall war – der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde und die geänderte Rechtslage erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz in Kraft getreten sei, müsste dies durch die Rechtsmittelinstanzen „von Amts wegen“ berücksichtigt werden.

Die in der Übergangsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG enthaltene Anordnung, wonach laufende Verfahren einzustellen sind, ergänze § 330a ASVG und mache damit „unmissverständlich klar, dass diese Bestimmung auch in anhängigen Verfahren anzuwenden“ sei.

Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass das Verbot des § 330a ASVG bereits vor dem 1. 1. 2018 verwirklichte Sachverhalte erfasst und das geänderte Recht von Amts wegen auch noch im Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist.“

Alles in allem wird man in Anbetracht der mittlerweile drei höchstgerichtlichen Entscheidungen und der deutlichen Worte des ersten Senats nun mit Fug und Recht von einer weitestgehend „gesicherten Rechtsprechung“ ausgehen und die Sozialhilferechtsträger aufzufordern haben, alle bisher noch nicht abgeschlossenen „alten Verfahren“ in Entsprechung der Vorgabe des Verfassungsgesetzgebers endlich „einzustellen“!

Näheres zu diesem Thema finden Sie auch in den Beiträgen vom 31.01.2014, 08.05.2015, 18.09.2015, 25.09.2015, 22.07.2016, 30.09.2016, 24.02.2017, 10.11.2017, 17.11.2017, 24.11.2017, 20.04.2018, 27.07.2018, 14.09.2018, 14.12.2018, 08.03.2019, 29.03.2019, 17.04.2020, 08.05.2020 und 29.05.2020.

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Foto und Fotobearbeitung: Sarah Hettegger, © Copyright 2018