Pflegeregressverbot: Exekutionsverfahren zu „Altkosten“ sind einzustellen!
Erneut sah sich der Oberste Gerichtshof in einer Entscheidung vom 24.10.2018, GZ 3 Ob 168/18d, (derzeit noch unveröffentlicht) im Zusammenhang mit dem Verbot des Pflegeregresses zu einer richtungsweisenden Klarstellung veranlasst.
Unter Hinweis auf das Judikat des Verfassungsgerichtshofs vom 10.10.2018, E 229/2018 (siehe dazu den Blog vom 12.10.2018), wonach gemäß § 330a ASVG ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/innen im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten – selbst bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung, die vor dem 01.01.2018 ergangen ist – jedenfalls unzulässig wäre, revidierte er das gegenteilige Erkenntnis der zweiten Instanz.
Demnach sei der erstgerichtliche Beschluss antragsgemäß durch Einstellung des Exekutionsverfahrens und Löschung eines grundbücherlichen Pfandrechts auf einer verlassenschaftsgegenständlichen Liegenschaft wiederherzustellen, die Immobilie also insoferne lastenfrei zu machen.
Unter anderem spiele keine Rolle, dass es der verstorbenen Person im Titelverfahren (wegen der erst später erfolgten Rechtsänderung) naturgemäß nicht möglich war, das Verbot des Pflegeregresses zu Lebzeiten jemals geltend zu machen.
Leitsatzartig kann somit festgehalten werden, dass die verfassungsgesetzlich vorgesehene Abschaffung des Pflegeregresses per 01.01.2018 auch zur Einstellung von Exekutionsverfahren führt, die zur Hereinbringung davor angefallener, so genannter „Altkosten“ eingeleitet wurden.
Es kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die von den Höchstgerichten mittlerweile in einhelliger ständiger Rechtsprechung (siehe dazu Blog vom 12.10.2018) dargelegten Grundsätze nicht nur für zwangsweise, sondern auch für vertraglich, also „freiwillig“ begründete Pfandrechte heranzuziehen sind.
Dies umso mehr, als der Oberste Gerichtshof laut Veröffentlichung auf der Homepage (http://www.ogh.gv.at/entscheidungen/entscheidungen-ogh/verbot-des-pflegeregresses-fuehrt-zur-einstellung-im-exekutionsverfahren/) am 24.10.2018 in mehreren ähnlichen Parallelverfahren offenkundig gleichgelagerte Entscheidungen getroffen hat.
Auf die längst überfällige Verpflichtung der Sozialhilferechtsträger zur Lastenfreistellung vertraglich belasteter Liegenschaften wurde bereits im Blog vom 23.11.2018 hingewiesen.
Vor diesem Hintergrund werden die beteiligten Entscheidungsträger und Sachbearbeiter der Sozialhilferechtsträger schon zur Vermeidung von Haftungsfolgen gut beraten sein, nun zügig entsprechend ihrer verfassungsgesetzlichen Verpflichtung gemäß § 707a ASVG, nicht nur die „laufenden Verfahren einzustellen“, sondern auch sämtliche Betreibungsschritte seit 01.01.2018 einer Evaluierung zu unterziehen.
Nach mittlerweile geklärter Rechtslage war die Einbringlichmachung von Zahlungen und die Erwirkung von Sicherheiten seit 01.01.2018 auch hinsichtlich alter, vor diesem Zeitpunkt aufgelaufener Pflegekosten rechtswidrig.
In Folge dessen sind die Betroffenen von den jeweils begünstigten Institutionen umgehend zu benachrichtigen und schadlos zu stellen.
Offen bleibt allerdings die Frage, ob es eine sachliche Rechtfertigung dafür geben kann, dass all jene dennoch durch den Rost fallen, die bis 31.12.2017 Zahlungen geleistet haben.
Näheres zu diesem Thema finden Sie auch in den Beiträgen vom 31.01.2014, 08.05.2015, 18.09.2015, 25.09.2015, 22.07.2016, 30.09.2016, 24.02.2017, 10.11.2017, 17.11.2017, 24.11.2017, 20.04.2018, 13.07.2018, 27.07.2018, 14.09.2018, 08.03.2019, 29.03.2019, 17.04.2020, 08.05.2020 und 29.05.2020.
Fotonachweis: Foto und Fotobearbeitung: Sarah Hettegger, © Copyright 2018