Erste Entscheidung des OGH zur Abschaffung des Pflegeregresses!

Mit der Thematik Abschaffung des so genannten „Pflegeregresses“ per 01.01.2018 haben sich schon die Blogs vom 10., 17. und 24.11.2017 beschäftigt.

Nach wie vor ist die Frage ungeklärt, wie mit den bis 31.12.2017 aufgelaufenen Pflegekosten zu verfahren ist, hinsichtlich welcher in vielen Fällen bereits vollstreckbare Exekutionstitel (Bescheide, Urteile, Vergleiche) und Sicherheiten zu Gunsten der Sozialhilferechtsträger vorliegen, beispielsweise in Form von Hypothekarpfandrechten.

Nun liegt zu GZ 2 Ob 224/17f eine erste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 30.01.2018 vor, die den Standpunkt zu stützen scheint, dass auch Altverbindlichkeiten vom „Verbot des Pflegeregresses“ nach § 330a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetztes (ASVG) mitumfasst sein könnten.

Gemäß § 330a ASVG ist ein „Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten […] unzulässig“.

Nachdem die Bestimmung mit 1. Jänner 2018 in Kraft getreten sei, dürften ex lege ab diesem Zeitpunkt „Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen“.

Diesen Regelungen liege die Wertentscheidung des (Verfassungs-)Gesetzgebers zugrunde, dass stationäre Pflege – soweit das Einkommen des Gepflegten nicht ausreicht – nicht aus dessen Vermögen finanziert werden müsse, sondern vom Staat (im weitesten Sinne) zu gewähren sei.

Zwar könne derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden, ob § 330a ASVG auch stationär erbrachte Leistungen der Behindertenhilfe erfasse.

Dagegen spreche möglicherweise der Wortlaut („Sozialhilfe“), dafür das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung für eine Unterscheidung zwischen krankheits- oder altersbedingter Pflegebedürftigkeit und behinderungsbedingter (stationärer) Betreuungsnotwendigkeit.

Zu klären sei dieser Aspekt jedoch im Rahmen der jeweils in den einzelnen Bundesländern hierzu vorgesehenen Verwaltungsverfahren und nicht als Vorfrage eines Außerstreitverfahrens.

Bei der pflegschaftsgerichtlichen Zustimmung zu einem Vergleich, aus dem Zahlungsfolgen zu Lasten der betroffenen Person resultieren, wäre nach den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs jedenfalls zu beachten, dass nach einer Auffassung im Schrifttum, ab 1. Jänner 2018 selbst bei Vollstreckbarkeit einer Verpflichtung kein exekutiver Zugriff auf das Vermögen mehr möglich sein solle (Fucik/Mondel, Was bedeutet die Abschaffung des „Pflegeregresses“ für zivilgerichtliche Verfahren, SWK 2017/36, 1561 [1565]).

Vor freiwilligen Leistungszusagen aus dem Vermögensstamm Betroffener müsse daher diese Frage in einem dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren geklärt werden.

Schlussendlich überlässt der Oberste Gerichtshof die Lösung aller noch offenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Abschaffung des Pflegeregresses den zuständigen Behörden, entweder in jedem einzelnen Fall oder in weiterer Folge durch eine „gesicherte Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen“.

Bis dahin sind pflegschaftsgerichtliche Genehmigungen von Verträgen und/oder Vergleichen mit entsprechenden Verpflichtungen von Personen, die gemäß § 21 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehen, weil sie minderjährig sind oder aus einem anderen Grund ihre Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen, de facto auszuschließen.

An dieser höchstgerichtlichen „Empfehlungsanweisung“ sollten sich alle selbstberechtigten Betroffenen, ihre Angehörigen oder Erben bis auf Weiteres tunlichst ebenfalls orientieren.

Näheres zu diesem Thema finden Sie auch in den Beiträgen vom 31.01.2014, 08.05.2015, 18.09.2015, 25.09.2015, 22.07.2016, 30.09.2016, 24.02.2017, 10.11.2017, 17.11.2017, 24.11.2017, 13.07.2018, 27.07.2018, 14.09.2018, 14.12.2018, 08.03.2019, 29.03.2019, 17.04.2020, 08.05.2020 und 29.05.2020.

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 Foto und Fotobearbeitung: Sabrina Grünwald, © Copyright 2018