Erlischt ein Wohnrecht automatisch beim Umzug ins Pflegeheim?

Alle Umfragen zeigen: Einer der größten Wünsche im Alter besteht darin, möglichst lang in den „eigenen vier Wänden“ bleiben zu dürfen.

Wenn es dann aber aus gesundheitlichen Gründen unvermeidlich ist, sich in professionelle Heimbetreuung zu begeben, sollte eine Rückkehr jedenfalls so lange möglich bleiben, als man dies noch möchte und – wenigstens theoretisch – bewerkstelligen könnte.

Wer in diesem Zeitpunkt seine Vermögensangelegenheiten bereits geregelt und sich im Zuge der Wohnungs- oder Hausübergabe nur noch ein Wohnungsgebrauchsrecht vorbehalten hat, wird diesen Aspekt bei professioneller Nachfolgeberatung ohnedies vertraglich exakt nach seinen Vorstellungen geregelt haben.

Das ist bei der Einräumung eines Wohnrechts ohne vorherige Liegenschaftsübertragung, etwa durch langjährige familiäre Übung, gesetzlich vorgesehene Begünstigungen, letztwillige Verfügung oder eine entsprechende Schenkung zu Lebzeiten häufig anders, weil die begünstigte Person jeweils – wenn überhaupt – so doch nur über sehr eingeschränkte Mitbestimmungsmöglichkeiten in der konkreten Ausgestaltung ihrer künftigen Rechte verfügt.

Ein derartiger Fall lag der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 26.11.2019, 4 Ob 202/19p, Zak 2020/162, 94, zugrunde.

Die Klägerin erhielt von ihrem Vater, der am 06.01.2018 verstorben ist, mit Übergabevertrag vom 21.04.2015 das Alleineigentum an seinem Einfamilienhaus samt Hof und Garten übertragen. Als Gegenleistung wurde vereinbart, dass dem Übergeber und über dessen Anweisung auch seiner Lebensgefährtin, der Beklagten, das lebenslängliche, unentgeltliche und ungeteilte Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt wird.

Im September 2015 erkrankte die Beklagte und musste daher in ein Pflegeheim übersiedeln. Die Unterstützung durch eine Heimhilfe oder im Rahmen einer 24 Stunden Pflege wurde damals sowohl von der Beklagten als auch vom Vater der Klägerin abgelehnt. Im Haus der Klägerin befinden sich nach wie vor Kleidung und andere Habseligkeiten der Beklagten, die von dort regelmäßig für sie geholt werden. Die Beklagte ist körperlich und geistig durchaus in der Lage, ihr Wohnrecht zu nutzen und im Haus der Klägerin mit Unterstützung durch eine Pflegekraft zu leben; auch ihre finanzielle Situation lässt eine Rückkehr in das Haus zu. Sie möchte dies derzeit allerdings nicht, weil sie sich im Pflegeheim geborgen fühlt.

Die Klägerin begehrte nun die gerichtliche Feststellung, dass der Beklagten kein Wohnungsgebrauchsrecht bzw Wohnungsrecht an der in Rede stehenden Liegenschaft zustehe und scheiterte mit ihrer Klage in allen drei Instanzen.

Im Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs wird dazu unter anderem ausgeführt, dass die persönliche Dienstbarkeit des Gebrauchs zur Nutzung einer fremden Sache ohne Verletzung ihrer Substanz berechtigt und der praktisch bedeutsamste Fall dieser Dienstbarkeit jener des Wohnungsgebrauchsrechts sei, womit den Berechtigten auf Lebenszeit die Befugnis gewährt wird, die vom Recht umfassten Gebäudeteile im Rahmen ihrer Bedürfnisse zum eigenen Bedarf zu verwenden.

Derartige Nutzungsrechte verjähren durch bloßen Nichtgebrauch nur dann, wenn das Recht 30 Jahre lang nicht ausgeübt wird. Eine bestimmte hohe Qualität oder Intensität der Ausübung des Wohnungsgebrauchs innerhalb der Verjährungsfrist ist zur Vermeidung der Verjährung des Rechts nicht erforderlich. Daher wird ein Wohnungsgebrauchsrecht immer dann ausgeübt, wenn der Berechtigte die Wohnung im Rahmen seiner jeweiligen Bedürfnisse benützt. Dabei kann es sich um Benützungshandlungen unterschiedlichster Art handeln, sodass die Frage nach der Rechtsausübung im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen ist.

Abgesehen von einer Freiheitsersitzung, einem dauernden Untergang der dienenden oder herrschenden Sache oder einem Verzicht der Berechtigten kann insbesondere bei persönlichen Dienstbarkeiten nur deren völlige Zwecklosigkeit, die dauernde Unmöglichkeit oder die gänzliche Unwirtschaftlichkeit der Ausübung des Nutzungsrechts ihren weiteren Rechtsbestand beenden. Völlig zwecklos ist ein Wohnungsgebrauchsrecht allerdings nur dann, wenn es seinen Sinn ganz verloren hat und seine Ausübung nicht nur vorübergehend, sondern dauernd unmöglich geworden ist. Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genügt dabei für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts.

Nachdem die Beklagte im Gegenstand durchaus in der Lage sei, ihr Gebrauchsrecht zu nutzen und im Haus der Klägerin mit Unterstützung einer Pflegekraft zu leben, dies derzeit eben nur nicht möchte, weil sie sich im Pflegeheim geborgen fühlt, könne davon ausgegangen werden, dass die Ausübung des Wohnungsgebrauchsrechts weder völlig zwecklos noch endgültig unmöglich ist.

Der Umzug und dauerhaft freiwillige Aufenthalt in einem Pflegeheim führt also keineswegs zum automatischen Verlust eines Wohnungsgebrauchsrechts.

Allerdings zeigt die Praxis, dass der Druck auf Betroffene, auf jedwedes Rückkehr- und Nutzungsrecht explizit zu verzichten, meistens enorm ist, weil die brach liegende Immobilie durch diese Belastung weder zu sinnvollen Konditionen verwertet, noch von den Eigentümern oder ihren Nachkommen umgestaltet und bewohnt werden kann.






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