Bindet eine verbindliche Patientenverfügung den Arzt?

Eine in der anwaltlichen Praxis häufig gestellte Frage lautet: „Müssen sich Ärzte auch tatsächlich an meine Vorgaben in der Patientenverfügung halten?“

Das ist grundsätzlich der Fall, weil Patientenverfügungen der aktuellen Behandlungsentscheidung eines noch ausreichend urteils- und einsichtsfähigen Patienten rechtlich gleichgestellt sind.

Aber nur wem es an Expertise und/oder Erfahrung mit der Vielschichtigkeit dieses Metiers mangelt, wird hier in vollster Überzeugung mit einem klaren Ja antworten. Das Patientenverfügungs-Gesetz (PatVG) sieht nämlich selbst eine Reihe von Ausnahmen vor und wird zudem in seinem Regelungsinhalt laufend durch praktische Umsetzungsprobleme auf die Probe gestellt.

Eine wesentliche Einschränkung betrifft Notfälle. Gemäß § 12 PatVG lässt „dieses Bundesgesetz … medizinische Notfallversorgung unberührt, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet.“

Auch ist in § 13 PatVG eine gesetzliche Schranke zur Gemeingefährdung vorgesehen. Demnach kann ein „Patient durch eine Patientenverfügung die ihm allenfalls aufgrund besonderer Rechtsvorschriften auferlegten Pflichten, sich einer Behandlung zu unterziehen, nicht einschränken.“

Vor allem aber muss der Patient gemäß § 3 PatVG bei der Errichtung einer Patientenverfügung einsichts- und urteilsfähig sein. Weiters muss aus der Patientenverfügung hervorgehen, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt (§ 4 PatVG).

Dazu normiert § 5 PatVG, dass „der Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung … eine umfassende ärztliche Aufklärung einschließlich einer Information über Wesen und Folgen der Patientenverfügung für die medizinische Behandlung vorangehen (muss). Der aufklärende Arzt hat die Vornahme der Aufklärung und das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift durch eigenhändige Unterschrift zu dokumentieren und dabei auch darzulegen, dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt, etwa weil sie sich auf eine Behandlung bezieht, die mit einer früheren oder aktuellen Krankheit des Patienten oder eines nahen Angehörigen zusammenhängt.“

Flankierend wird den aufklärenden Ärzten in § 14 PatVG eine Dokumentationsverpflichtung auferlegt. „Stellt ein Arzt im Zuge der Aufklärung nach § 5 fest, dass der Patient nicht über die zur Errichtung einer Patientenverfügung erforderlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt, so hat er dies, gegebenenfalls im Rahmen der Krankengeschichte, zu dokumentieren.“

Außerdem ist eine Patientenverfügung abgesehen von ihrem Widerruf gemäß § 10 PatVG auch dann „unwirksam, wenn sie nicht frei und ernstlich erklärt oder durch Irrtum, List, Täuschung oder physischen oder psychischen Zwang veranlasst wurde, ihr Inhalt strafrechtlich nicht zulässig ist oder der Stand der medizinischen Wissenschaft sich im Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert hat.“

In all diesen Konstellationen zeigt sich nicht nur, dass es in einer Reihe von Fällen zu einer begründeten Ablehnung der Befolgung an sich verbindlicher Patientenverfügungen durch die Ärzte kommen kann, sondern auch zur Maßgeblichkeit der Frage, ob bei einem Patienten die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit bereits vor oder erst nach der Errichtung seiner Patientenverfügung weggefallen ist.

Derartige Umstände galt es in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17.09.2014, GZ 6 Ob 147/14g, EF-Z 2015/21, 34, zu klären, der dazu programmatisch, aber im konkreten Einzelfall wohl wenig hilfreich Folgendes konstatierte:

„Die Betroffene hat am 2. 10. 2013 eine verbindliche Patientenverfügung errichtet. Die erhöhten und formalisierten Errichtungsbestimmungen rechtfertigen es, dass eine verbindliche Patientenverfügung Arzt, Pflegepersonal und Angehörige als deren Adressaten im Rahmen des Behandlungsvertrags als vorweg vorgenommene Festlegung unmittelbar bindet. Dementsprechend schließt § 268 Abs 2 Satz 2 ABGB idF SWRÄG 2006 eine Sachwalterbestellung aus, soweit durch eine verbindliche Patientenverfügung für die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person im erforderlichen Ausmaß vorgesorgt ist (Subsidiaritätsprinzip im Sachwalterrecht). Eine verbindliche Patientenverfügung bindet den Arzt daher in gleicher Weise wie eine aktuelle Behandlungsentscheidung des Patienten. Da insoweit die Willensbildung verbindlich erfolgt ist, bedarf es auch keines Sachwalters ( … ).“

„Konkrete Hinweise, wonach der Patient bei Errichtung seiner Erklärung nicht frei von Willensmängeln war, entkräften aber die Patientenverfügung (ErläutRV 1299 BlgNR 22. GP 9), …“

„Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung hat der Außerstreitrichter … nicht festzustellen, in welchem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt die (Verfahrens )Unfähigkeit eingetreten ist ( … ). Dies gilt auch für die hier zu beurteilende Frage der Einsichts  und Urteilsfähigkeit der Betroffenen bei Errichtung der Patientenverfügung.“