Was bedeutet „beziehungsweise“ in einem Testament?

Die Formulierung eines Testaments soll möglichst kurz, exakt und klar ausfallen.

Schließlich handelt es sich um keinen Erlebnisaufsatz, sondern um eine letztwillige Anordnung, die von den Adressaten strikt befolgt werden muss, wobei Rückfragen bei der verfügenden Person naturgemäß nicht mehr möglich sind.

Unnötige Floskeln, auslegungsbedürftige Wortwahl und komplizierte Detailregelungen für alle erdenklichen Eventualitäten sind deshalb tunlichst zu vermeiden.

Dies betrifft selbst im Alltag bedenkenlos verwendete Begrifflichkeiten, wie eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 28.03.2019, 2 Ob 214/18m, NZ 2019/99, 296, anhand des Wortes „beziehungsweise“ recht eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Die kinderlosen Ehegatten K hatten sich in einer gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügung vom 09.06.1988 wechselseitig zu Alleinerben berufen und ergänzend Folgendes vorgesehen:

II. Für den Fall des gleichzeitigen Ablebens berufen wir bzw. beruft der von uns zuletzt Ablebende den Neffen des JK WK, als Alleinerben des gesamten beweglichen und unbeweglichen Nachlasses.

Nachdem der Ehemann (JK) am 03.03.2006 verstorben war, wurde seine Verlassenschaft aufgrund des genannten Testaments seiner Witwe zur Gänze eingeantwortet.

Als schließlich auch sie am 04.11.2013 verstarb, war dieses Testament jedoch nicht mehr aktenkundig, sodass ihre Verlassenschaft nicht dem testamentarisch vorgesehenen Neffen (WK) des Gatten, sondern ihren drei gesetzlichen Erben anteilig eingeantwortet wurde.

WK klagte später auf Herausgabe der Verlassenschaft nach der Witwe, weil er aufgrund des besagten Testaments zu ihrem Alleinerben berufen sei und daher über den stärkeren Erbrechtstitel verfüge.

Die Vorinstanzen bezogen bei ihrer (zur Klagsabweisung führenden) Auslegung des Punktes II. des Testaments die einleitende Wortfolge „Für den Fall des gleichzeitigen Ablebens …“ auch auf den Satzteil „… beruft der von uns zuletzt Ablebende …“. Das Wort „bzw“ stelle dabei lediglich eine präzisierende Verbindung zwischen diesen Wortfolgen her.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs findet diese Interpretation allerdings keine Stütze in der gewöhnlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang.

Vielmehr könne dem Begriff „beziehungsweise“ auch die Bedeutung „und im anderen Fall“ zukommen.

Da die Verstorbene das gemeinschaftliche Testament vom 09.06.1988 nie widerrufen habe, sei demnach WK ihr Alleinerbe und seiner Erbschaftsklage folglich stattzugeben.






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