Verzeihung durch Erteilung einer Generalvollmacht?

Die romantisch klingende „Verzeihung“ hat nicht nur in Liebesbeziehungen, sondern auch in erbrechtlicher Hinsicht größte Bedeutung, weil sie Erbunwürdigkeit (§§ 539 und 541 ABGB), Enterbung (§ 773 ABGB) und Schenkungswiderruf wegen Undanks des Beschenkten auch auf Erbenebene (§ 949 ABGB) zu neutralisieren vermag.

Aus der Vielzahl an zu dieser Thematik vorliegender, stets auf die Umstände des Einzelfalls bezogener Judikatur und Literatur ist der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg vom 01.07.2020, 2 U 47/19, ZErb 8/2022, 302, ein interessanter Aspekt zu entnehmen, ob nämlich in der Erteilung einer Generalvollmacht ein rechtlich als „Verzeihung“ zu interpretierender Gnadenakt erblickt werden kann.

Die Erblasserin hatte ihrem Abkömmling laut einem rechtskräftigen Urteil rechtswirksam den Pflichtteil entzogen, ihn also enterbt, und seinerzeit unter anderem darauf abgestellt, er habe ihr nach dem Leben getrachtet sowie einen ehrlosen und sittenwidrigen Lebenswandel geführt.

Später erteilte sie ihm dennoch eine Generalvollmacht einschließlich einer Vorsorgevollmacht, behielt sich allerdings ausdrücklich vor, deren Wirksamkeit von der Überreichung einer Ausfertigung der Urkunde an ihn abhängig zu machen.

Nach Ansicht des Rechtsmittelsenats könne in diesem Vorgang zwar durchaus eine „Verzeihung“ in erb- und pflichtteilsrechtlicher Hinsicht erblickt werden. Allerdings habe der potenziell Bevollmächtigte im Gegenstand nicht nachweisen können, dass es tatsächlich zu einer entsprechenden Ausfolgung der Urkunde an ihn gekommen ist, weshalb seine Klage abzuweisen sei.

Unabhängig von dieser einzelfallbezogenen Wendung bleibt die Möglichkeit einer „Verzeihung“ per Bevollmächtigung also grundsätzlich möglich und sollte bei der Erstellung von Vollmachtsurkunden unbedingt beachtet, also eingehend erörtert und textlich entsprechend konkret abgebildet werden.

Thematisch etwas anders gelagert, in der Tendenz aber ähnlich ausgerichtet ist in diesem Kontext auf die richtungsweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (verstärkter Senat!) vom 03.05.2018, 2 Ob 122/17f, EF-Z 2018/112, 233, hinzuweisen, wonach bereits die Einräumung einer Zeichnungsberechtigung auf einem Bankkonto oder Wertpapierdepot eine „wirkliche Übergabe“ darstellen kann und es folglich keiner Schenkungsurkunde in Notariatsaktsform bedarf.

Bei der Schenkung von Kontoguthaben oder Depots (genauer: von auf einem Depot liegenden Wertpapieren …) genüge es demnach, wenn der Geschenkgeber dem Geschenknehmer durch einen vom Schenkungsversprechen verschiedenen Akt die Möglichkeit einräumt, sich ohne sein weiteres Zutun in den Alleinbesitz des geschenkten Vermögens zu setzen. Dafür könnten unter Umständen schon das Erteilen einer Zeichnungsberechtigung oder einer Vollmacht ausreichen.

Näheres dazu siehe Blog vom 07.12.2018 „Einräumung einer Bankvollmacht als Schenkung?“

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