„Vermögensopfer“ und rechtsmissbräuchlicher Pflichtteilsverzicht
Wenn es darum geht, missliebigen Angehörigen den ihnen gesetzlich zustehenden Pflichtteil zu entziehen oder wenigstens gehörig zu schmälern, scheinen der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Paradoxerweise kann es ausgerechnet über den Weg eines Pflichtteilsverzichts beispielsweise des geliebten Letztgeborenen gelingen, ihm zu Lasten der Kinder aus erster Ehe deutliche Vorteile zu verschaffen.
§ 785 Abs 3 ABGB sieht nämlich vor, dass Schenkungen bei der Pflichtteilsberechnung unberücksichtigt bleiben, die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers an nicht pflichtteilsberechtigte Personen gemacht worden sind.
Für Todesfälle ab 01.01.2017 wird diese Bestimmung nach § 782 Abs 1 ABGB (neu) verlagert und sieht ungeachtet juristischer Nuancen im Wesentlichen gleichermaßen vor, dass auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten Schenkungen, die der Verstorbene in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod an Personen, die nicht dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören, wirklich gemacht hat, bei der Berechnung der Verlassenschaft hinzuzurechnen sind.
Im Ergebnis sind also Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte zeitlich unlimitiert und jene an alle anderen Personen oder Institutionen, etwa Cousinen, Nachbarn, Privatstiftungen, Caritas, Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und dergleichen nur dann rechnerisch in den Nachlass mit einzubeziehen, wenn sie innerhalb des Zeitraums von 2 Jahren vor dem Tod stattgefunden haben.
Durch rechtsgültigen Pflichtteilsverzicht kann sich aber jeder ebenso gut freiwillig aus dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten hinauskatapultieren und auf diese Weise das relevante Zeitfenster für Schenkungen an ihn auf 2 Jahre beschränken.
Allzu verwegenen Konstruktionen stehen dabei allerdings die so genannte „Vermögensopfertheorie“ und die anerkannten Grenzen zum Rechtsmissbrauch entgegen.
In einer beachtenswerten Entscheidung vom 29.09.2016, 2 Ob 220/15i, Zak 2016/736, 395, hat der Oberste Gerichtshof erst kürzlich nicht nur die herrschende Rechtslage ausführlich referiert, sondern auch klargestellt, dass eine ausgewogene Beschenkung aller Pflichtteilsberechtigten zu Lebzeiten Rechtsmissbrauch ausschließen kann und die Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechts im Gegensatz zu einem Fruchtgenussrecht nach der „Vermögensopfertheorie“ kein Hindernis für die Auslösung der Zweijahresbefristung darstellt.
Demnach sind unter den pflichtteilsberechtigten Personen mit unbefristeter Schenkungsanrechnung gemäß § 785 ABGB nur jene zu verstehen, die im Zeitpunkt des Erbanfalls „tatsächlich“ pflichtteilsberechtigt sind und im Schenkungszeitpunkt zudem „abstrakt“ pflichtteilsberechtigt waren.
Künftig wird nach § 782 f ABGB (neu) nur noch maßgebend sein, ob die beschenkte Person „dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten“ angehört.
Ein Pflichtteilsverzicht vor dem Erbanfall schließt somit eine fristenlose Anrechnung grundsätzlich aus, es sei denn, die Berufung auf § 785 Abs 3 ABGB würde rechtsmissbräuchlich erfolgen.
Rechtsmissbrauch liegt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt. Der Schädigungszweck muss dabei so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten.
Insoferne aber beispielsweise aus dem Gesamtzusammenhang das Bemühen der Eltern um eine ausgewogene Versorgung aller Kinder durch Schenkungen deutlich werde, unterscheide sich ein derartiger Sachverhalt grundlegend von jenen für den Rechtsmissbrauch typischen Fällen, in denen die Bevorzugung eines einzelnen Noterben zu Lasten der übrigen offensichtlich sei.
Liegt kein Rechtsmissbrauch vor, ist in weiterer Folge unter dem Gesichtspunkt der Zweijahresfrist nach § 785 Abs 3 ABGB der Zeitpunkt des tatsächlich erbrachten „Vermögensopfers“, also der Beginn des Fristenlaufs zu prüfen.
Etwa ist die Schenkung einer Liegenschaft dann nicht fristauslösend, wenn ein Widerrufsvorbehalt vereinbart oder vom Geschenkgeber alle Nutzungen der geschenkten Sache in Form eines dinglichen Fruchtgenussrechts zurückbehalten wurden.
In derartigen Fällen tritt das (für den Fristbeginn maßgebende) „Vermögensopfer“ erst mit dem Tod oder einem wirksamen Verzicht des Geschenkgebers auf diese Rechte ein.
Erfolgt die Schenkung hingegen ohne Widerrufsvorbehalt und ließ sich der Geschenkgeber nur ein Wohnungsgebrauchsrecht, nicht aber ein umfassendes Fruchtgenussrecht einräumen, hat er bereits mit dem Vertragsabschluss ein relevantes Vermögensopfer erbracht und dadurch den Fristenlauf ausgelöst.
Diese Grundsätze gilt es bei jeder Schenkungsvertragsabwicklung und bei jeder Übergabeplanung schon im Vorfeld eingehend abzuwägen.
Anders kann es nämlich auch bei bestem Einvernehmen zu Lebzeiten passieren, dass die weniger großzügig Bedachten ihr Mütchen im Nachhinein auf gerichtlichem Wege kühlen.