Pflichtteilsminderung NEU ab 01.01.2017!

Eine der umstrittensten, potenziell unfairsten und streitgeneigtesten Bestimmungen des österreichischen Erbrechts sieht in § 773a ABGB die Möglichkeit einer außerordentlichen Pflichtteilsminderung auf die Hälfte vor.

Sie wird hauptsächlich von Vätern in Anspruch genommen, die sich ohnehin zu Lebzeiten nicht um ihre „ledigen“, unehelichen oder außerehelichen Kinder gekümmert haben. Selten greifen Mütter oder Kinder im Verhältnis zu ihren Eltern zu diesem Mittel letztwilliger „Pflichtteilsoptimierung“.

Abgesehen von juristischen und finanziellen Belangen handelt es sich dabei auch um eine Art persönlicher Zurückweisung, die in rein menschlicher Hinsicht verheerend wirken kann. Dies umso mehr, als sich derartige Anordnungen häufig in lapidaren Sätzen der letztwilligen Verfügung finden und sich nicht am Empfinden des Adressaten, sondern primär am Gesetzestext orientieren. Demnach kann der Erblasser den Pflichtteil auf die Hälfte mindern, wenn zwischen ihm und dem Pflichtteilsberechtigten „zu keiner Zeit“ ein Naheverhältnis bestand, wie es in der Familie zwischen solchen Verwandten gewöhnlich besteht.

Mit dem Kindrechts-Änderungsgesetz 2001 wurde immerhin ergänzend normiert, dass der Erblasser diese Gelegenheit dann nicht haben soll, wenn er die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte mit dem Pflichtteilsberechtigten grundlos abgelehnt hat.

Anstelle nun diese klar all jene benachteiligende Bestimmung ersatzlos abzuschaffen, die ohnedies eine schwierige Kindheit ohne den leiblichen Vater verbringen mussten, hat sich der österreichische Gesetzgeber entschlossen, sie im Zuge des Erbrechtsänderungsgesetzes 2015 (ErbRÄG 2015) sogar noch auszudehnen.

Für Todesfälle ab 01.01.2017 wird nämlich § 773a ABGB ersetzt durch einen neuen § 776 ABGB, der für das fehlende familiäre Naheverhältnis anstelle des bisherigen Kriteriums „zu keiner Zeit“ eine Aufweichung dahingehend vorsieht, als fortan für die Pflichtteilsminderung auch hinreichend sein soll, wenn dieses „zumindest über einen längeren Zeitraum vor dem Tod des Verfügenden“ nicht bestanden hat.

Das eröffnet neuerdings auch Erblassern die Möglichkeit zur Pflichtteilsreduktion, die sich erst nach einigen Jahren gemeinsamen Familienlebens „verabschiedet“ und daraufhin jeden Kontakt zu ihren Kindern/Eltern/Ehegatten/eingetragenen Partnern abgebrochen haben. Allerdings wird nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des ErbRÄG 2015 ein Mindestzeitraum von zwei Jahrzehnten bis zum Tod des Erblassers vorausgesetzt. Die Entfremdung der betroffenen Personen ist dabei nach objektiven Kriterien zu beurteilen („Mindestmaß an menschlichem Kontakt“) und muss im Zeitpunkt der letztwilligen Anordnung wenigstens bereits begonnen haben.

Zudem wird der Kreis betroffener Personen nun auch auf Ehegatten und eingetragene Partner erweitert, indem der Gesetzestext künftig nicht mehr auf das familiäre Naheverhältnis zwischen „Verwandten“ (§ 773a ABGB), sondern allgemein auf jenes von „Familienangehörigen“ (§ 776 ABGB nF) abstellt.

Nebenbei hat der Gesetzgeber eine alte Streitfrage dahingehend gelöst, indem klargestellt wird, dass die Pflichtteilsminderung nicht unbedingt als solches ausgedrückt werden muss, sondern auch durch schlichte Übergehung in der letztwilligen Verfügung stillschweigend angeordnet werden kann. Zur Konfliktvermeidung wäre eigentlich Gegenteiliges naheliegender gewesen.

Immerhin werden die Verhaltensanforderungen an den Erblasser (neuerdings „Verfügender“ und „Verstorbener“ genannt) insoferne verschärft, als ihm das Recht auf Pflichtteilsminderung künftig auch dann nicht zustehen soll, wenn er den Kontakt grundlos „gemieden“ oder dem Adressaten seiner Beschränkung „berechtigten Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben“ hat. Bisher war hier nur die grundlose „Ablehnung“ der Kontaktaufnahme schädlich.

Insgesamt zeigt sich an diesem Beispiel eindrucksvoll, dass die Innovationen des ErbRÄG 2015 speziell in pflichtteilsrechtlichen Belangen doch deutlich hinter den Möglichkeiten geblieben sind. Für tiefgreifende Neuerungen, wie sie im Vorfeld der Novelle in der einschlägigen Fachliteratur bis hin zur gänzlichen Abschaffung von Pflichtteilsansprüchen vorgetragen wurden, bestand offenkundig weder ein legistischer Spielraum noch der erforderliche politische Wille.

Eine Norm zu Lasten der ohnedies schon zu Lebzeiten des Erblassers Benachteiligten, wie sie § 773a ABGB darstellt, hätte durchaus radikalere Schritte in Richtung ersatzloser Streichung gerechtfertigt. Neben einer Vereinfachung der erbrechtlichen Rahmenbedingungen wäre dadurch letztendlich auch ein in der Praxis immer wieder anzutreffender Konfliktherd auf denkbar einfache Weise nachhaltig entschärft worden.