Mutter bekämpft erfolgreich „Gedenkstatus“ im Account der Tochter
Speziell junge Menschen verlagern ihre Interessen und Lebensinhalte zunehmend in die virtuelle Parallelwelt des Internets.
Soziale Medien haben alte Kommunikations- und Dokumentationsmedien abgelöst. Filme, Fotos und das gute alte Tagebuch in Papierform finden sich längst nicht mehr in einer Geheimlade des Jugendzimmers, sondern elektronisch gespeichert auf unterschiedlichen Plattformen.
Den faktischen und rechtlichen Problemen, die sich für Angehörige nach dem Ableben der Inhaber dieser Accounts stellen, wurde bereits in den Blogs vom 24.01.2014 „Der Online-Nachlass des Justin Ellsworth“ und vom 28.03.2014 „Was passiert mit Domains nach dem Tod des Inhabers?“ nachgegangen.
Nun liegt eine beachtenswerte Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 17.12.2015, 20 O 172/15, ZErb 4/2016, 109, vor, die den erfolgreichen Kampf einer Mutter gegen einen, ihr den Zugang zum Account der verstorbenen Tochter verwehrenden Netzwerkanbieter ausführlich darstellt.
Das Mädchen war am 03.12.2012 im Alter von 15 Jahren unter tragischen Umständen verunglückt. Es wurde in Berlin von einer U-Bahn erfasst und tödlich verletzt. Ihre Eltern erhofften sich durch Einsicht in den Netzwerk-Account der Tochter Hinweise zur Klärung der im Raum stehenden Frage, ob es sich allenfalls um einen Suizid gehandelt haben könnte. Eine Antwort darauf war abgesehen von der emotionalen Bewältigung dieses Schicksalsschlages auch von rechtlicher Bedeutung, weil sie der seinerzeitige U-Bahn-Fahrer mit Schadenersatzforderungen (Schmerzengeld) konfrontiert hatte.
Das betroffene Benutzerkonto wurde allerdings bereits am 09.12.2012 durch einen anderen Nutzer, dessen Identität der Netzwerkanbieter aus datenschutzrechtlichen Erwägungen nicht preisgeben wollte, in den so genannten „Gedenkzustand“ versetzt. Dieser bewirkte, dass fortan selbst für die Eltern und Erben der Verstorbenen kein Zugang mehr möglich war.
Das Landgericht Berlin gab der auf Gewährung des Zugangs zum Account der verstorbenen Tochter gerichteten Klage der Mutter statt. Es bestehe ein Anspruch der Erben auf Überlassung der Zugangsdaten zu den Profilen Verstorbener auf sozialen Netzwerken, zumal sie als Gesamtrechtsnachfolger in den Nutzungsvertrag eintreten. Dem stünden weder Erwägungen zur Gefährdung postmortaler Persönlichkeitsrechte noch datenschutzrechtliche Bedenken entgegen, jedenfalls so lange die Erben, wie im Gegenstand, zugleich Sorgeberechtigte einer minderjährigen Erblasserin sind.
Diese klarstellende, aber doch auch relativ deutlich auf den Einzelfall abgestellte Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht begrüßenswert. Eine Verallgemeinerung auf andere Umstände oder eine uneingeschränkte Übertragung auf den österreichischen Rechtskreis erscheint allerdings eher (noch) nicht möglich.
Beispielsweise vertritt der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der Berechtigung zur Einsichtnahme in Sachwalterschaftsakten durch Erben eine deutlich zurückhaltendere Rechtsprechungslinie. Sie soll im höchstpersönlichen Bereich nicht zulässig sein und reduziert sich damit im Wesentlichen auf rein wirtschaftliche Belange.
Vor diesem unsicheren Hintergrund bleibt es jedenfalls weiterhin ratsam, bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen auch das „virtuelle Leben“ in den Fokus zu rücken und in geeigneter Weise testamentarisch vorzusorgen.
Näheres zu diesem Thema finden Sie auch in den Beiträgen vom 24.01.2014, 28.03.2014, 25.08.2017, 28.09.2018 und 08.11.2019.