Keine Verjährung des Nichtigkeitseinwands nach Pflichtteilsverzicht einer Geschäftsunfähigen
Die Abgabe eines Pflichtteilsverzichts will wohl bedacht und gut überlegt sein.
Immerhin begibt man sich des Rechts auf den gesetzlichen Mindestanteil eines Erbes.
Allerdings ist diese Entscheidung manchmal nicht ganz frei von jeder Beeinflussung. Gerade in emotional belastenden Situationen, wie im Zuge einer (groß-)elterlichen Vermögensübertragung, bei akuten Krankheitsfällen oder in einer eigenen finanziellen Notlage, ist der Druck nicht selten ebenso groß, wie die Verlockung unüberlegter, später bitter bereuter Schritte.
In besonders unappetitlichen Fällen wird sogar Personen ein Pflichtteilsverzicht abverlangt, denen es zum Abschlusszeitpunkt an Geschäftsfähigkeit mangelt, wie eine aufrüttelnde Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 16.03.2022, 2 Ob 175/21f, Zak 2022/278, 153, eindrucksvoll zeigt.
Im Revisionsverfahren war nicht mehr strittig, dass die Klägerin zur Zeit der Erklärung ihres Pflichtteilsverzichts im Jahre 1987 nicht geschäftsfähig war.
In rechtlicher Hinsicht referierte der Oberste Gerichtshof die herrschende Auffassung, wonach ein von einer Geschäftsunfähigen abgeschlossenes Geschäft ohne Rücksicht auf seinen Inhalt absolut nichtig ist und die Willenserklärung auch nicht nachträglich dadurch Gültigkeit erlangt, dass sie ein gesetzlicher Vertreter oder die Geschäftsunfähige selbst nach gänzlicher oder teilweiser Wiedererlangung der Geschäftsfähigkeit genehmigen. Aufgrund ihrer absoluten Wirkung bedarf die Nichtigkeit überdies keiner rechtsgestaltenden gerichtlichen Entscheidung. Sie hängt daher nicht von einer Anfechtung ab und kann folgerichtig als solche auch keiner Verjährung unterliegen.
Besondere Vorsicht und zeitgerechtes Handeln ist in derart gelagerten Fällen dennoch geboten, weil von dieser Nichtigkeit der Pflichtteilsverzichtsvereinbarung an sich etwaige Ansprüche auf Rückforderung bestimmter aus dem nichtigen Geschäft resultierender Vermögensverschiebungen streng zu unterscheiden sind. Für diese gelten nämlich die allgemeinen verjährungsrechtlichen Grenzen sehr wohl.
In der vorliegenden Causa war der Pflichtteilsanspruch der Klägerin nach dem Tod des Vaters der Streitteile im Jahre 2018 allerdings (offenkundig aufgrund rechtzeitiger Klagsführung) unstrittig noch nicht verjährt.
Ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Haftung der im Jahre 1987 an der Errichtung des nichtigen Pflichtteilsverzichtsvertrages mitwirkenden Berater und Urkundenverfasser einer kritischen Betrachtung unterzogen wurde, lässt sich dem höchstgerichtlichen Erkenntnis hingegen nicht entnehmen.
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