Keine Hochzeit und keine wilde Ehe mit Frau Mary I.!

Sehr selten, manchmal aber doch, zeigt das Erbrecht seine lyrische Seite mit einer Vehemenz, die auch an sich unsentimentale Erbrechtspraktiker veranlasst, die Lesebrille beiseite zu legen, ein Stündchen inne zu halten und über die Kraft der Liebe nachzudenken.

In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 14.02.1951, 1 Ob 722/50, verbirgt sich so eine Geschichte, wie sie Romanciers und Drehbuchautoren kaum besser hätten erfinden können.

Sie spielt offenbar in den 1930er bis 1950er Jahren in Wien und hat eine Hauptdarstellerin, die geheimnisvolle und wahrscheinlich äußerst begehrenswerte „Frau Mary I.“.

Wie anders ließe sich erklären, dass ein junger Mann über die Freuden einer offenbar beträchtlichen Erbschaftserwartung und über das seinen Eltern gegebene Ehrenwort hinweg, dennoch seine Angebetete partout heiraten wollte.

Die Mutter hatte vorsorglich mit letztwilliger Erklärung vom 6. März 1938 massive Einschränkungen seines Erbes zu Gunsten des Bruders für den Fall angeordnet, dass er „Frau Mary I. heiraten oder mit ihr in wilder Ehe leben“ sollte.

Vertrauend auf das Ehrenwort des Sohnes hat sein Vater nach dem Tod der Mutter im Beisein des Bruders die besagte Passage in der Testamentsurkunde gestrichen, um ihm eine Kränkung zu ersparen.

Da er in weiterer Folge jedoch sein Wort gebrochen hatte, klagte ihn der Bruder auf Umsetzung der Beschränkungen mit der Begründung, dies entspräche nun dem wahren Willen der Erblasserin.

Das Landesgericht Wien gab dem Klagebegehren statt, während es vom Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht abgewiesen wurde. Der Oberste Gerichtshof stellte das erstinstanzliche Urteil mit (auszugsweise) nachstehender Begründung wieder her.

Unterdrückt werde ein letzter Wille unter anderem dann, wenn dessen Verfälschung ein Handeln gegen die Intentionen des Erblassers darstelle. Wer hingegen den wahren Willen des Erblassers zu verwirklichen bestrebt sei, werde nicht erbunwürdig, mag er sich auch ungehöriger Mittel bedient haben. Der Zweck der Bestimmung des § 542 ABGB liege nämlich darin, dem Willen des Erblassers zum Durchbruch zu verhelfen und diesem Willen widerstreitende Anmaßungen letztwilliger Ansprüche zu verhindern. Der Kläger habe im vorliegenden Fall also durch die Genehmigung der Streichung dem Willen der Erblasserin nicht zuwider gehandelt, sondern vielmehr denselben Erfolg erzielen wollen, wie sie, nämlich verhindern, dass der vermachte Erbteil nach dem Tode des Beklagten der Frau Mary I. zukomme. Vater und Bruder hätten zur Schonung des Beklagten und im Vertrauen auf dessen früher gegebenes Versprechen gehandelt. Der Beklagte könne gegen die Klage deshalb nicht mit Erfolg einwenden, dass der Bruder unter diesen Umständen erbunwürdig wäre.

Diskussionswürdiges Ergebnis – tolle Story!