Gehört ein Bruder zu „allen Verwandten und angeheirateten Verwandten“?
Im Blog „Testamente eignen sich nicht für verbale Abrechnungen“ vom 06.05.2021 wurden bereits einige Problemfelder letztwilliger Standpauken skizziert.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte sich in einer Rechtsmittelentscheidung vom 23.11.2020, 8 W 359/20, ZErb 3/2021, 109, etwa mit der Frage zu beschäftigen, ob ein vom gleichen Schicksalsgeschehen betroffener Bruder der Verstorbenen ebenfalls zu der von ihr testamentarisch von der Erbfolge ausgeschlossenen „Verwandtschaft“ zu zählen sei oder nicht.
Dies wurde nach ausführlichen Erwägungen der konkreten Fallkonstellation und entsprechender Testamentsauslegung im Ergebnis verneint, also seinem Erbanspruch der Vorzug vor dem – ebenfalls nach dem Erbe greifenden – deutschen Fiskus eingeräumt.
Die unverheiratete Erblasserin hatte keine weiteren Geschwister und keine Kinder. Ihre Eltern waren bereits vorverstorben.
Offenkundig musste sie ein sehr herausforderndes Leben bewältigen und wurde dabei von ihrer „Verwandtschaft“ nicht in der von ihr erwarteten Angemessenheit unterstützt.
Zu Lebzeiten dürfte sich keine passende Gelegenheit zur Darlegung ihrer Enttäuschung gefunden haben und so verfügte sie schließlich in einem handschriftlich verfassten Testament Folgendes:
„Für nach meinem Tode.
Meine letztwillige endgültige Bestimmung betr. unsere Hinterlassenschaft aus 40 Jahren entbehrungsvollen Hungerjahren:
Ausgeschlossen sind alle Verwandten und angeheirateten Verwandten!
Mutters Schwägerin …, geb. …, erbt den Nachlaß ihrer Eltern.
Sie hat zwei Nachkommen, … und …, eine Angeheiratete. Die Familie …, … , war mitleidlos gegenüber unserem Vertreibungsschicksal. >Man muss doch mal vergessen können …<. Eine Aussage die wir von Einheimischen, die ihre Heimat behalten haben, hören mußten, die uns schwer verletzt hat! Bis heute wissen sie nicht wie wirklich grausam Heimweh nach daheim und Sehnsucht nach den Eltern und Großeltern ausbrennen! Unser Leben ist eine offene Wunde sagte unsere leidgeprüfte tapfer geduldige Mutter!
Auch ausgeschlossen ist Mutters Vetter, … … , München, der schwerstverwundet beinamputiert den Krieg überlebt hat, aber von Vertriebenen- und Flüchtlingsschicksalen >nichts weiß<. Ebenso ausgeschlossen ist seine Nachkommenschaft mit einer Angeheirateten, die seinen Nachlaß erben.
Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht! Das tut sehr weh!
Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.
Hamburg, Februar 2007
Unterschrift“
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