Ein Zettel mit der Überschrift „Testament“
Die Fürsorglichkeit potenzieller Erben im Umgang mit der Errichtung und Bewahrung letztwilliger Verfügungen zu ihren Gunsten ist kaum zu überbieten.
Sie erstreckt sich nicht selten auch auf medizinische Diagnosen und rechtliche Expertisen, wenn es darum geht, dem künftigen Erblasser später die Testierfähigkeit oder seinen handschriftlichen Aufzeichnungen jedwede Testamentstauglichkeit abzusprechen.
Lästigerweise ist dieser Hang zur Privatbegutachtung auch dem Gesetzgeber hinlänglich bekannt, der deshalb in § 151 Außerstreitgesetz (idF ErbRÄG 2015) unmissverständlich folgende Verpflichtung vorgesehen hat:
„Wer vom Tod einer Person erfährt, deren Urkunden über letztwillige Anordnungen (Testamente, sonstige letztwillige Verfügungen) und deren Widerruf, Vermächtnis-, Erb- und Pflichtteilsverträge, Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge und deren Aufhebung sowie Aufzeichnungen über eine mündliche Erklärung des letzten Willens sich bei ihm befinden, ist verpflichtet, diese Urkunden unverzüglich dem Gerichtskommissär zu übermitteln, selbst wenn das Geschäft seiner Ansicht nach unwirksam, gegenstandslos oder widerrufen sein sollte.“
Die Verlockung, diese Selbstverständlichkeit zu missachten, dürfte aber gerade dann immer besonders groß sein, wenn sich in den Aufzeichnungen der Erbtante oder in der Dokumentenmappe des Großvaters Schriftstücke finden, die mit den Beteuerungen, man sei letztwillig großzügig bedacht worden, nicht wirklich in Einklang zu bringen sind.
Mag auch die Gefahr, bei der Unterdrückung derartiger Verfügungen „erwischt“ zu werden, relativ gering sein, sind die im Raum stehenden Konsequenzen keineswegs harmlos. Neben straf- und zivilrechtlichen Haftungsfolgen droht unter anderem auch die alle Aussichten auf Teilhabe am Nachlass vernichtende Erbunwürdigkeit.
Ein derart multiples „Missgeschick“ lag wohl auch der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 19.09.2012, 3Ob157/12b, NZ 2013/96, 218, zugrunde.
Der verwitwete und kinderlose Erblasser hatte in einer formgültigen letztwilligen Verfügung vom 20. Februar 2009 ein Ehepaar gleichteilig zu Erben berufen. Nach seinem Ableben beanspruchten aber auch seine Neffen – gestützt auf ein Testament vom 15. Mai 2009, in eventu auf das Gesetz – ebenfalls jeweils die Hälfte des Nachlasses mit der Begründung, die besagten Ehegatten hätten ein vom Erblasser am 15. Mai 2009 eigenhändig errichtetes Testament unterdrückt und ihm zudem die Möglichkeit genommen, eine neue letztwillige Verfügung zu errichten.
Aus der Aussage einer Zeugin schloss das Bezirksgericht Baden sodann, dass der Erblasser tatsächlich eigenhändig ein Schreiben verfasst und unterfertigt hatte, das mit „Testament“ überschrieben war und sinngemäß folgenden Inhalt hatte: „Ich [Erblasser] zu gleichen Teilen W***** und M*****. 15.5.2009, Baden.“
Als er kurz vor seinem Tod aus dem Krankenhaus nach Hause kam, fand die ursprünglich bedachte Testamentserbin das Schreiben in einer Ringbuchmappe. Sie las es durch und nahm es mit den Worten „Man sieht, wie verwirrt E***** schon ist, weil der W***** ist ja schon tot; vielleicht brauchen wir es noch einmal“ an sich.
Ihr Ehemann vertrat die Ansicht, dieses Testament sei ohnedies ungültig, weil der Erblasser bereits alles in Ordnung gebracht habe. Die Urkunde wurde von den beiden in der Folge nicht mehr herausgegeben und ihre Existenz überhaupt geleugnet.
Das Erstgericht qualifizierte dieses Verhalten als vorsätzliche Unterdrückung eines letzten Willens und konstatierte damit Erbunwürdigkeit des Ehepaars, sodass die beiden Neffen aufgrund der gesetzlichen Erbfolge zum Zuge kämen.
Das Landesgericht Wiener Neustadt pflichtete dieser Auffassung mit dem ergänzenden Hinweis bei, wenn jemand ein „Schreiben“ durchlese, das die Überschrift „Testament“ trage und eine Erbeneinsetzung enthalte, so könne nicht zweifelhaft sein, dass mit dem Beiseiteschaffen dieses „Schreibens“ das Bewusstsein einhergehe, ein „Testament“ zu verheimlichen.
Auch ein dagegen erhobener außerordentlicher Revisionsrekurs blieb erfolglos. Der Oberste Gerichtshof wies in seiner Entscheidung mahnend darauf hin, dass die Unterdrückung einer letztwilligen Verfügung stets zur Erbunwürdigkeit führt, und zwar unabhängig davon, ob sie (form)gültig gewesen wäre oder nicht.
Doppelt bitter für die beiden „Urkundenfinder“.
Abgesehen vom in allen drei Instanzen schmachvoll verlorenen Prozess, hätte die gesetzestreue Urkundenvorlage an den Gerichtskommissär wenigstens eine Diskussion über die Wirksamkeit als letzter Wille oder über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit eine reelle Chance auf das Erbe ermöglicht.