Die Nacht zum 17. August 2015

… könnte für Viele von entscheidender Bedeutung sein.

Man muss keinen Propheten bemühen, um zu erahnen, dass uns die Zeit rund um dieses Datum noch Jahre beschäftigen wird.

Immerhin sind die EU-Erbrechts-Verordnung (EuErbVO) und der korrespondierende (erste) Teil des österreichischen Erbrechts-Änderungsgesetzes 2015 (ErbRÄG 2015) auf Todesfälle ab 17. August 2015 unmittelbar anzuwenden. Welche Gerichte international zuständig sind und nach welchem staatlichen Recht Erbschaftsfälle zu beurteilen sind, richtet sich künftig nicht mehr nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers, sondern primär nach seinem „letzten gewöhnlichen Aufenthalt“.

Eine der harmlosesten Konsequenzen daraus betrifft den Umstand, dass die exakte Uhrzeit, zu der eine Person verstorben ist, nicht nur in kriminalistischer, sondern plötzlich auch in erbrechtlicher Hinsicht bedeutsam ist. Die alles entscheidende Frage lautet nämlich für Personen mit „gewöhnlichem Aufenthalt“ außerhalb des Landes ihrer Staatsbürgerschaft, ob der Tod noch am 16. August 2015 oder erst um 0.00 Uhr des Folgetages eingetreten ist!

Wer den lässigen Umgang mit derlei vermeintlich irrelevanten Details von Ärzten, Krankenanstalten und Behörden kennt, weiß, dass hier oft nur mit Grobeinschätzungen gearbeitet wird und die in der Praxis verwendeten Formulare vereinzelt nicht einmal Rubriken für die Uhrzeit vorsehen. Erbrechtsspezialisten sind zum Todeszeitpunkt selten anwesend und werden – schon aus Pietätsgründen – meistens erst etwas später beigezogen. An diesen Gepflogenheiten dürften wohl auch die EuErbVO und das ErbRÄG 2015 wenig ändern.

Gewiss wird in der einen oder anderen Konstellation auch dem Verdacht nachzugehen sein, ob jemand der Verlockung erlegen ist, das Ableben einer nahestehenden Person auf unredliche, verbrecherische Weise etwas „vorzuverlegen“ (das Gegenteil lässt sich bekanntermaßen deutlich schwerer bewerkstelligen), um – beispielsweise als in Österreich Pflichtteilsberechtigter – noch in den Genuss der alten Rechtslage zu kommen. Vielleicht hatte ja die betagte Frau Mama ihren Ruhestand schon gefährlich lange in Cornwall verbracht oder sich der Herr Gemahl nur noch äußerst selten im heimatlichen Reihenhaus blicken lassen. Zweifellos warten hier auf Polizei, Staatsanwaltschaften, Detektive und Gerichtsmediziner künftig eine Reihe spannender Zusatzaufgaben, gut gemeinter „Anregungen“ und lukrativer Aufträge.

Etwas weniger spektakulär, aber im Ergebnis nicht minder bedeutsam ist die Einflussnahme auf die Aufenthaltsentscheidung Kranker, Pflegebedürftiger oder Personen fortgeschrittenen Alters. Die Rechts- und Zuständigkeitsanknüpfung an den „letzten gewöhnlichen Aufenthalt“ setzt nämlich keine Willentlichkeit voraus. Mit anderen Worten ist es irrelevant, ob der betroffene Erblasser die letzten Jahre vor seinem Ableben freiwillig in einem bulgarischen Pflegeheim verbracht hat oder sich seine Angehörigen schlicht und ergreifend keine inländische Betreuung mehr leisten konnten.

Natürlich kommen neben Zwang auch allerlei Varianten von List in Frage. Wer wird es unter diesen Umständen älteren Herrschaften künftig verdenken, wenn sie der verwandtschaftlichen Einladung zur dauerhaften Rückkehr aus einem Südseeparadies eher skeptisch gegenüberstehen oder umgekehrt nach großzügigen Schenkungen an eines der Kinder partout nicht ihren Lebensabend in Florida verbringen möchten, wo man viele Annehmlichkeiten für Senioren, aber eben keine Schenkungspflichtteilsansprüche der Geschwister kennt?

Argwohn, Misstrauen und Verdächtigungen, die üblichen Begleiter jeder Erbrechtsauseinandersetzung, erhalten also im August 2015 neue Nahrung.

Gleiches ist für die – tendenziell zunehmenden – Haftungsfälle in Verlassenschaftssachen zu erwarten.

Niemand wird sich mehr allein mit der Erklärung ideologischer oder religiöser Verblendung zufrieden geben, wenn etwa ein Arzt im relevanten Zeitraum rechtswidrig die Vorgaben einer verbindlichen Patientenverfügung nicht umsetzen will und dadurch den Ablebenszeitpunkt kausal über den 16. August 2015 hinaus verschiebt.

Gewarnt seien aber auch all jene Vorsorge-, Vermögens-, Versicherungs-, Bank- und sonstigen Berater, die ohne erbrechtliche Spezialexpertise Vermögensübertragungspläne schmieden und letztwillige Verfügungen (nach veralteten Mustern) konzipieren. Wer beispielsweise seine Kunden oder Mandanten nicht nachweislich über die in Österreich erstmals mit der EuErbVO eingeführte Rechtswahlmöglichkeit aufgeklärt hat, wird dies ihren vor einem griechischen Bezirksgericht nach hellenischem Recht um Pflichtteilsansprüche kämpfenden Angehörigen dereinst zu erklären haben.

So oder anders stehen spannende Zeiten bevor und wird wie immer erst die Rechtspraxis zeigen, welch eigenartige Geschichten uns die Nacht zum 17. August 2015 tatsächlich zu bescheren vermag.