ATS 150.000 für Tochter in Wohnungsnot als „sittliche Pflicht“?

Schenkungen, die der Verstorbene aus Einkünften ohne Schmälerung des Stammvermögens, zu gemeinnützigen Zwecken, in Entsprechung einer sittlichen Pflicht oder aus Gründen des Anstandes gemacht hat, sind in der Pflichtteilsberechnung nicht zu berücksichtigen, sofern der Verstorbene und der Geschenknehmer nichts anderes vereinbart haben (§ 784 ABGB).

Die vom Gesetzgeber hier gewählte Umschreibung einzelner Ausnahmefälle lässt in ihrer Allgemeinheit viel Spielraum für unterschiedliche Interpretationen und führt folglich häufig zu Streit.

Eine eher großzügige Auslegung ist dazu der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 13.12.2022 (OGH 2 Ob 224/22p, Zak 2023/82, 54) zu entnehmen.

Ein Verstorbener hatte seine Tochter zu Lebzeiten mit einer Geldzuwendung in Höhe von ATS 150.000 zur Finanzierung der Grundausstattung einer neuen Wohnung unterstützt, weil sie im Zuge der Trennung von ihrem Ehemann in einer finanziellen Notlage gewesen war und über keine Wohnmöglichkeit verfügt hatte.

Zwar sind dem veröffentlichten Beschluss keine Zeitangaben zu entnehmen, aber ATS 150.000 waren zu „Schillingzeiten“ ein kleines Vermögen und selbst bei spätest denkbarer Zahlung kurz vor der Bargeldumstellung auf Euro Anfang 2002, stünden valorisiert immerhin rund € 18.000 in Rede.

Beim Begriff „sittliche Pflicht” kommt es nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich und für die verschiedensten Lebensbereiche auf die Anschauungen der redlichen und rechtsverbundenen Mitglieder der betroffenen Verkehrskreise an. Auch der Maßstab des „bonus pater familias” und der Normfamilie ist für die Frage der sittlichen Pflicht heranzuziehen.

Eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, ist allerdings nur dann anzunehmen, wenn dazu eine besondere, aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers (Erblassers) bestand. Dies lässt sich nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen zwischen Schenker und Beschenktem, ihres Vermögens und der ihrer Lebensstellung entscheiden.  

Vor diesem Hintergrund haben alle drei Instanzen in der Zuwendung von ATS 150.000 an die Tochter eine Schenkung aus sittlicher Pflicht bejaht, zumal im konkreten Fall keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, die Zuwendung hätte die Vermögens‑ und Einkommenssituation des später verstorbenen Vaters unverhältnismäßig überschritten.

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