Abschiedsbrief des Vaters bleibt bei Gericht!

Der in allen drei Instanzen erfolglos gebliebene Antrag eines Sohnes, das Original des Abschiedsbriefs seines im Jahre 1944 unter dem NS‑Regime hingerichteten Vaters, den er wenige Stunden vor seinem Tod in Form eines eigenhändigen Schreibens an seine Ehefrau und seine Kinder verfasst hatte, ausgefolgt zu erhalten, zeigt sehr eindrucksvoll, welch herzlose Auswirkungen an sich vernünftige gesetzliche Vorkehrungen haben können.

Dieser Abschiedsbrief enthielt nämlich unter anderem auch eine letztwillige Verfügung zu Gunsten seiner engsten Familienangehörigen.

Nach der Abweisung des Antrags in beiden Unterinstanzen ließ der Oberste Gerichtshof den Revisionsrekurs mit Beschluss vom 28.09.2021, 2 Ob 168/20z, Zak 2021/596, 335 = EF-Z 2022/38, 84, unter Bezugnahme auf eine ältere Entscheidung (10 Ob 16/12v) mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Gemäß § 152 Abs 3 AußStrG seien Urschriften von letztwilligen Verfügungen nun einmal bei Gericht „zu verwahren“, was bedeute, dass diese wichtigen Urkunden nach § 168 Abs 1 iVm § 173 Z 7 Geo „dauernd aufzubewahren“, also nicht wieder auszufolgen sind.

Folglich sei weder das Interesse an der Aufbewahrung, noch an der Ausfolgung näher zu prüfen.

Die von den Vorinstanzen vertretene Ansicht, die zitierten Bestimmungen ließen ungeachtet des lange zurückliegenden Todes des Erblassers und des verständlichen großen persönlichen Interesses des Antragstellers keinen Interpretationsspielraum offen, entspreche dem klaren Wortlaut der genannten Bestimmungen und finde Deckung in der vorliegenden Rechtsprechung.

Folglich könnten auch Originalurkunden letztwilliger Verfügungen, die – was häufig vorkomme – mit persönlichen Botschaften oder Briefen an die Hinterbliebenen verknüpft seien, nicht ausgefolgt werden.

Diese Einschätzung mag formell zutreffend sein, vernachlässigt aber, dass sie inhaltlich niemandem nützt, hingegen beim hinterbliebenen Sohn sehr nachvollziehbares Leid verursacht.

Vielmehr wäre zu wünschen gewesen, dass sich der Oberste Gerichtshof mit der Argumentation des Landesgerichts Salzburg (II. Instanz) näher auseinandergesetzt hätte. Von diesem war nämlich der Revisionsrekurs mit dem Hinweis zugelassen worden, dass ohnedies „keinerlei Ansprüche aus der Urkunde mehr geltend gemacht werden könnten und die letztwillige Verfügung eine Einheit mit einem Brief bilde, der für die Nachkommen einen besonderen immateriellen Wert habe“.

In Zeiten sicherer und auch vom Gesetzgeber anerkannter elektronischer Archivierungsmöglichkeiten, vor allem aber auch, weil eine weitere Gerichtsverwahrung ohnedies keinem nachvollziehbaren Schutzzweck mehr dienlich sein kann, hätte das Höchstgericht durchaus einen menschlicheren Standpunkt einnehmen und beispielsweise die „dauernde Aufbewahrung“ bei Gericht ersatzweise in sicherer elektronischer Form gewährleisten, also dem Sohn das für ihn so wichtige Dokument im Papieroriginal ausfolgen lassen können. Diese Form der elektronischen Urkundensammlung ist in Grundbuch- und Firmenbuchangelegenheiten schon seit vielen Jahren gesetzlich vorgesehen und bestens erprobt.

Vor dem Hintergrund der nunmehr als „gefestigt“ anzusehenden Rechtsprechung erscheint der Gesetzgeber gefordert, wenigstens diese Variante endlich zu eröffnen.

Bis dahin bleibt jedem Testator dringend empfohlen, intime persönliche Belange und letztwillige Verfügungen strikt getrennt in gesonderten Briefen zu erfassen, mag dieser Rat in emotionaler Hinsicht auch wenig einleuchtend und speziell im Angesicht eines unmittelbar bevorstehenden Todes geradezu abwegig sein.

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