Über den Tod hinaus

Maximilian I. (1459 – 1519) galt als Meister der Inszenierung. Der Herzog von Burgund, Erzherzog von Österreich und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war hoch gebildet und erwarb sich große Verdienste um die Förderung von Wissenschaft, Literatur und Kunst. Seine besondere Vorliebe galt dem Verfassen poetischer Werke. Als typischer Herrscher der Renaissance galten seine Bemühungen primär der Steigerung seiner eigenen Popularität. Ungeachtet aller Ambitionen, sich als „moderner Herrscher“ zu stilisieren, stand er gleichzeitig in der burgundischen Tradition mit dem Idealbild eines mittelalterlichen Ritters. Glaubt man den Historikern, dürfte er sogar tatsächlich ein mutiger Kämpfer gewesen sein.

Nach einer verlorenen Schlacht gegen die Schweizer zog er sogleich und dieses Mal mit Erfolg gegen die Franzosen ins Feld, angeblich in der ersten Reihe seiner Infanterie. Um seine Siege für die Nachwelt zu dokumentieren, engagierte Maximilian zahlreiche Künstler, die ihn als „letzten Ritter“ darzustellen hatten. Albrecht Altdorfer etwa malte einen hundert Meter langen Triumphzug auf Pergament für ihn. Die gewünschten Szenen und die Reihenfolge ihres Ablaufes gab der Kaiser höchstpersönlich vor. Wie einem modernen PR-Profi gelang es ihm durch diese Form der Inszenierung ein nachhaltig positives Image rund um seine Person aufzubauen und teilweise bis heute aufrecht zu erhalten.

Warum Maximilian in diesem Buch vorkommt? Weil sein Nachruf und historischer Ruhm für ihn bis zuletzt im Zentrum seiner Wünsche standen. Aber auch, weil das erste bekannte Porträt eines weltlichen Toten sein Gesicht zeigt. Maximilian schenkte dem Sterben schon lange vor seinem tatsächlichen Ableben große Aufmerksamkeit. Vier Jahre lang hatte er auf Reisen seinen Sarg mit sich führen lassen. Die Art und Weise, wie Maximilian seinen Tod plante und ihm geradezu offensiv entgegen schritt, zeuge vom außergewöhnlich demütigen und mit Schuld beladenen Selbstempfinden des Kaisers, befand etwa der deutsche Historiker Michael Ignaz Schmidt (1736 – 1794).

Nachdem Maximilian die letzte Ölung empfangen hatte, übergab er das kaiserliche Siegel und verbot, ihn mit seinen Titeln anzusprechen. Er soll außerdem angeordnet haben, nach dem Tod seien ihm die Zähne auszuschlagen, der Kopf zu scheren, der Leichnam zu geißeln, mit Asche und Kalk zu bestreuen und so öffentlich auszustellen. Leichenhemd und Beinkleid ließ er sich allerdings aus Scham doch noch kurz vor dem Tod bringen, zog sich aber selbst an und verfügte, dass er so in den Sarg gelegt werden sollte. Zu dieser finalen Selbstinszenierung gehörte unter anderem auch das bereits erwähnte Porträt des Toten. „Das Totenbildnis, das von ihm erhalten ist, ist ein in seiner Realistik erschütterndes Dokument: ein fahlgelbes Gesicht mit tief eingefallenen Wangen, der zahnlose Mund leicht geöffnet; ein halb zugedrücktes Augenlid gibt den Blick auf eine verdrehte Pupille frei“, schreibt dazu der deutsche Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann (*1962).

Kaiser Maximilian wusste offensichtlich schon damals bestens darüber Bescheid, wie sich Künstler zu Propagandazwecken einsetzen lassen und gab zu Lebzeiten eine Reihe von Gemälden in Auftrag. Darauf zu sehen ist vorwiegend er selbst, wie etwa auf einem berühmten Bild von Albrecht Dürer. Als „Der letzte Ritter“ im Januar 1519 auf einer beschwerlichen Reise von Innsbruck nach Linz in der Burg von Wels (vermutlich an Darmkrebs) starb, hinterließ er den Habsburgern einen enormen Schuldenberg. Die Kosten seines ausgesprochen prunkvollen Lebensstils, seiner zahllosen Kriege sowie seiner pompösen Hofhaltung konnten durch die laufenden Einnahmen zu keiner Zeit auch nur annähernd abgedeckt werden. Dennoch oder gerade deshalb gelang es ihm auf genau diese Weise, sich über die Jahrhunderte hinweg im Bewusstsein der Menschen zu halten.

Treffend konstatierte der schlaue Maximilian schon zu einer Zeit, als es keine PR-Berater oder Marketing-Agenturen gab: „Wer im Leben kein Gedächtnis macht, der hat nach seinem Tod kein Gedächtnis, und dieser Mensch wird mit dem Glockenton vergessen. Und darum wird das Geld, das ich für mein Gedächtnis ausgebe, nicht vergessen sein.“

Oft werden Menschen über ihren Besitz definiert. Um mit den Worten Maximilians nicht „mit dem Glockenton vergessen“ zu werden, erscheint es vielen wichtig, die eigene Dynastie aufrecht zu erhalten. Nach dem Motto, wenn ich schon nicht weiterleben kann, dann soll es zumindest mein Name. Die Familie Krupp von Bohlen und Halbach etwa, eines der einflussreichsten Geschlechter in der jüngeren deutschen Geschichte, war mit der Stahlerzeugung zu großem Vermögen und Ansehen gelangt. Zu Beginn der 1960er Jahre dürfte Alfried Krupp von Bohlen und Halbach allerdings klar geworden sein, dass sein Sohn Arndt weder den Willen, noch die Fähigkeit habe, das Unternehmen in der sechsten Generation weiter zu führen.

Der finanziell großzügig abgegoltene Verzicht des Sohnes auf sein Erbe war deshalb für die Familie und den Konzern von größter Bedeutung. An seine Stelle trat eine Stiftung. Für Alfried Krupp standen die Traditionen des Unternehmens und der Name Krupp klar über den Interessen seines eigenen Sohnes Arndt, weshalb er diesen weiters veranlasste, sogar auf den Namen Krupp zu verzichten und sich fortan nur noch von Bohlen und Halbach zu nennen. Offenkundig hatte Arndt unter der öffentlichen Zurücksetzung seines Vaters zeitlebens sehr gelitten. Sein Nachruf erhielt nämlich schlussendlich wieder den vollen Namen: Arndt Alexander Krupp von Bohlen und Halbach.

Narzisstische Menschen oder jene, die zu Größenwahn neigen, haben natürlich ein Bedürfnis, sich ein Denkmal über ihren Tod hinaus zu schaffen. Ihnen ist es besonders wichtig, lange in Erinnerung zu bleiben“, findet der Psychotherapeut Gilbert Weiss-Lanthaler und meint weiters: „Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit ist sicherlich da. Aber wenn ich diese Perspektive einnehme, bin ich nicht mehr bei mir selbst. Dann betrachte ich mich von außen und versuche mich sozusagen aus den Augen der anderen zu sehen. Natürlich hat diese Sehnsucht nach ,Berühmtheit‘ auch mit neuen Fernsehformaten zu tun. Mit dieser Art der medialen Inszenierung. Dass wir zum Teil nicht mehr unser Leben leben, sondern ein Ersatzleben. In zahlreichen Casting-Shows geht es ja nur mehr darum, berühmt zu werden und Bedeutung zu bekommen.“

Aufmerksamkeit zu erhalten wünschen wir uns zwar in unterschiedlicher Intensität, aber letztendlich doch alle. Ganz ohne Beachtung durchs Leben zu gehen, ist selbst für stille und bescheidene Menschen kaum auszuhalten. „Es ist gut, wenn man Anerkennung bekommt. Nur auf diese Weise können wir uns gesund entwickeln. Wenn wir von unseren Eltern nicht erleben, dass wir bedeutend für sie sind, dann können wir keinen Selbstwert entwickeln“, ist Gilbert Weiss-Lanthaler überzeugt.

Aus dem Buch “Die Zeit der letzten Wünsche”