Mit dir kann ich noch lachen

Abschied von einer Freundin

Manchmal bleibt nur wenig Zeit, sich zu verabschieden. Frau Anita S. war zwei Wochen vor der schockierenden Diagnose einer multiplen Krebserkrankung durch die Ärzte ihrer besten Freundin zu Besuch bei ihr. Sie hatte damals lediglich über starke Rückenschmerzen geklagt und ging von Problemen mit ihren Bandscheiben aus.

Das nächste Wiedersehen der Beiden fand im Krankenhaus statt. Die 54-jährige Patientin lag in ihrem Bett und hustete stark. Drei weitere Damen waren im selben Zimmer untergebracht. Anita S. bat einen Arzt, ihrer Freundin Medikamente zur Beruhigung zu verabreichen. Neben dem Husten musste nämlich sie auch häufig würgen und spucken. Der Arzt lehnte die Bitte mit dem Hinweis ab, die Patientin sei bloß etwas verkühlt. „Was für ein Trottel“, habe sie sich damals gedacht und sich einfach selber bei der Erkrankten erkundigt, auf welche Weise sie ihr helfen könne. „Komm bitte so oft es Dir möglich ist, mit Dir kann ich noch lachen.“ Alle anderen würden immer mit so furchtbar finsteren Mienen an ihrem Krankenbett erscheinen. „Jeder tut so, als ob ich schon weg wäre, aber mit Dir gibt es noch Spaß.“ Als einer ihrer Verwandten das Zimmer verlassen hatte und sie mit ihr alleine sprechen konnte, habe sie sich ganz unverblümt darüber beschwert: „So wie der zum Beispiel, jetzt kommt er weinerlich an mein Bett und davor war ich wohl nicht so wichtig“.

Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide. Anita S. sei trotzdem so etwas wie der Lachbesuch gewesen, obwohl ihr eigentlich gar nicht der Sinn danach stand, besonders lustig zu sein. Das habe sich in ihren Gesprächen aber meistens ganz automatisch und zufällig ergeben. Etwa als sie sich zurück erinnerten, wie sie gemeinsam die Schule schwänzten und die dadurch gewonnene Zeit lieber in diversen Flirts investierten. „Da kommt man dann schon ins Grinsen.“

Die Freundin habe eigenartigerweise auch meistens einen sehr ausgeglichenen Eindruck gemacht. Obwohl sie damals noch kein Morphium bekommen hatte, sei sie offensichtlich komplett angstfrei gewesen, vielleicht in Gedanken an ein Wiedersehen mit ihrer Tochter, die als Teenager bei einem tragischen Unfall tödlich verunglückt war. Besonders wichtig schien es ihr aber zu sein, möglichst wenig alleine gelassen zu werden. Der Ehemann habe seine Gattin nach Kräften und nahezu ununterbrochen betreut. Zwischen den Behandlungen wäre sie immer wieder nach Hause mitgenommen worden und sei ins Krankenhaus nur dann zurückgekehrt, wenn ihre Krankheit absolut keine Alternative zuließ.

Anita S. hatte damals bereits seit langem einen Urlaub geplant. Zuvor wollte sie aber unbedingt noch ihrer Freundin einen Besuch abstatten. Sie war mittlerweile in einem Einzelzimmer im Krankenhaus untergebracht. „Nur mit der Genehmigung des Ehemannes einzutreten!“, stand auf einem Zettel an der Türe zu lesen. Die Besucherin ging zu den Ärzten, die für sie beim Ehemann anriefen. „Geh ruhig zu ihr ins Zimmer, wenn du von deinem Urlaub zurückkommst, wird sie wahrscheinlich nicht mehr leben“, habe er ihr in traurigem Ton anvertraut.

Aus dem Buch “Die Zeit der letzten Wünsche”