Ein saftiges Steak

Hallo, mein Name ist Bernhard M., ich bin 38 Jahre alt und sollte seit zwei Monaten tot sein.“ Er setzte sich wieder. Die Gäste im Café stellten ihre Gespräche ein. Betroffenheit machte sich breit. Kurz und schmerzlos. So pflegte Bernhard M. sich vorzustellen. Für diplomatische Floskeln hatte er nichts übrig und eigentlich auch keine Zeit mehr zu vergeuden. „Er war etwas wortkarg und zu Beginn auch nicht so höflich“, erinnert sich Klaudia Fleck. Sie ist Psychotherapeutin im stationären Helga-Treichl-Hospiz Salzburg (nunmehr Raphael Hospiz Salzburg). Es war übrigens ihre Idee, im Hospiz besagtes Familiencafé einzurichten.

Eines Tages hielt Bernhard M. ihr einen Zeitungsausschnitt unter die Nase: „Klaudia, koch mir das.“

Zuerst war sie wenig begeistert. Das Foto zeigte ein großes, saftiges Steak, dekoriert mit fein geschnittenem Spargel. Klaudia Fleck ist nämlich Vegetarierin und eigentlich auch keine leidenschaftliche Köchin. Um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen, schlug sie dennoch vor, ihn in ein Restaurant einzuladen. „Wann?“, wollte er augenblicklich wissen. In vier Tagen, am Montag, hätte es für die Hospizmitarbeiterin gepasst. „Dann schaute er mich an, klopfte mit dem Finger auf seinen Kopf und wollte mir zu verstehen geben, ob ich einen Vogel habe. Ich nickte und sagte, ja Du hast recht. Das passierte mir, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt schon lange hier gearbeitet hatte.“ Mit einem Lächeln war das kleine Missgeschick aber sogleich vergessen.

Die Therapeutin improvisierte. Am Abend hatte sie sich bereits mit ihrer Familie im Theater verabredet. Nun kam eben noch ein weiterer Besucher hinzu. Dieser war zwar ziemlich wackelig auf den Beinen, konnte aber selbständig gehen. Nach der Aufführung würde Bernhard M. im theatereigenen Restaurant seine heiß ersehnte Speise bekommen. Sollte es das gewünschte Steak dort nicht geben, hätte man sich eben ein anderes Lokal gesucht. „Dann ging er tatsächlich vor wie bei mir. Er präsentierte dem Ober einfach seinen Zeitungsausschnitt“, erzählt Klaudia Fleck. Sie beobachtete die Situation aus einiger Entfernung. Der Kellner reagierte zu Beginn etwas ruppig. Es gebe nur frische Zutaten in diesem Lokal und derzeit sei eben keine Spargelsaison.

Ich wurde zornig; dachte mir, der Ober sollte seine Augen aufmachen. Sah er denn nicht, wer vor ihm stand? Bernhard hatte eine Narbe, die sich über den ganzen Kopf erstreckte. Es war offensichtlich, dass er ein schwer kranker Mann war“, so die Therapeutin. Sie fragte schließlich, ob man nicht alternativ ein anderes Gemüse verwenden könne. Dann erkannte der Kellner offenbar erst die besonderen Umstände, entschuldigte sich und bot an, in der Küche nachzufragen, ob die Erfüllung des Wunsches möglich sei. Er kam relativ rasch zurück und meinte, das würde man schon hinbekommen.

Der Koch musste die einzelnen Elemente der fein dekorierten Beilage abgezählt haben. Der gefüllte Teller sah genauso prächtig aus wie auf der Zeitungsbildvorlage, mit dem kleinen Unterschied in der Dekoration, dass es Zucchini anstelle des Spargels gab. Eine Art Wendepunkt zum Guten hatte stattgefunden. Bernhard führte den Teller nah an sein Gesicht, atmete tief ein und sagte: „Ja, das ist es.“ Er ließ nichts übrig, auch wenn ihm das Essen nicht mehr so leicht fiel.

Klaudia Fleck erinnert sich immer noch sehr gut an diese relativ lang zurück liegenden, berührenden Stunden. Welches Theaterstück aufgeführt wurde, hat sie hingegen längst vergessen.

Aus dem Buch „Die Zeit der letzten Wünsche“