Von einstürzenden Grüften und umstürzenden Grabmälern

Irgendwann kümmert sich niemand mehr um alte Gräber, Grüfte und sonstige Denkmäler, wenn es sich bei den Verstorbenen nicht gerade um Mozart oder Göthe gehandelt hat.

Friedhofsverwaltungen kennen dieses Problem nur zu gut, worauf bereits im Blog „Gräberinstandsetzungsaufforderung“ vom 15.05.2015 hingewiesen wurde.

Abgesehen von der störenden Optik verwilderter Grabstellen handelt es sich im technischen und rechtlichen Sinne auch um Bauwerke, die irgendwann ein- oder umzustürzen beginnen.

Für dadurch Geschädigte, insbesondere Besitzer benachbarter Anlagen, stellt sich sodann die Frage, wer für den entstandenen Schaden aufzukommen hat.

Dazu liegen in Österreich zwei höchstgerichtliche Entscheidungen vor.

Bereits im Jahre 1954 hat der Oberste Gerichtshof (OGH 17.02.1954, 3 Ob 83/54, SZ 27/37) ausgesprochen, dass eine Haftung für umstürzende Grabmäler grundsätzlich jene Personen trifft, welche durch erforderliche Vorkehrungen die Gefahr rechtzeitig abwenden können und die hierzu auch eine gewisse Beziehung zum Objekt verpflichtet, etwa indem sie vor dem Schadensfall den Grabstein restauriert haben. Ob es sich dabei um Erben der beigesetzten Person handelt oder ob sie Nachlassvermögen erhalten haben, sei hingegen nicht unbedingt von Bedeutung.

Die zweite Entscheidung (OGH 12.05.2009, 4Ob75/09x, Zak 2009/429) ist jüngeren Datums und beruht auf einem deutlich dramatischeren Hintergrund.

Der Kläger war Benützungsberechtigter eines Familiengrabs auf einem seit 1942 im Eigentum der Stadt Wien befindlichen Friedhof. In der Nähe dieser Grabstätte lag eine vor etwa 100 Jahren errichtete Gruft. Das Benützungsrecht für diese Gruft war seinerzeit auf die Dauer des Bestehens des Friedhofs eingeräumt worden. Die letzte der Friedhofsverwaltung bekannte Benützungsberechtigte verstarb im Jahre 1989.

Als der Kläger am 08.01.2007 sein Familiengrab fotografieren wollte, verlor er auf dem Weg dorthin aus unbekannten Gründen das Gleichgewicht, stürzte auf die benachbarte Gruft, fiel mit deren mittleren Abdeckplatte in diese hinein und verletzte sich schwer. Den erlittenen Schaden sollte ihm die Stadt Wien als Eigentümerin und Verwalterin der Friedhofsanlage ersetzen.

Der Oberste Gerichtshof bezog sich in seinem Erkenntnis auf die vorgenannte, rund 55 Jahre zuvor ergangene Entscheidung und ergänzte sie dahingehend, als eine „Sachbeziehung“ zum Werk maßgeblich sei, die den Besitzer in die Lage versetzt und nach der Verkehrsanschauung im Sinne einer „Verfügungsgewalt“ auch dazu verpflichtet, Gefahren rechtzeitig vorzubeugen. Im Zweifel handle es sich dabei um die jeweils Benützungsberechtigten (Grabberechtigten).

Unabhängig davon treffe aber auch die Eigentümerin und Verwalterin des Friedhofs Verkehrssicherungspflichten gegenüber Benützungsberechtigten anderer Gräber, ihren Angehörigen und sonstigen Besuchern. Die Friedhofsbetreiberin wäre daher verpflichtet gewesen, erkennbare Gefahrenquellen, wie die gegenständliche, (objektiv) mangelhafte Abdeckung einer Gruft zu beseitigen oder abzusichern.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs sei es nämlich „auf Friedhöfen nicht unüblich, benachbarte Grabmäler zu betreten, um ein anderes Grab zu erreichen oder zu betreuen. Zudem kann auch ein Unfallgeschehen (Sturz), wie es hier festgestellt wurde, oder ein Betreten im Fall einer größeren Menschenansammlung bei einem Begräbnis nicht ausgeschlossen werden. Die Beklagte musste daher damit rechnen, dass Friedhofsbesucher die Abdeckplatten betreten könnten“.

Zwar erstrecke sich die Pflicht zur Absicherung lediglich auf erkennbare Gefahrenquellen, allerdings sei die Friedhofsverwaltung zu einer fachkundigen Prüfung verpflichtet.

Da im gegenständlichen Fall links und rechts der Abdeckplatten bereits Moos und Pflanzenbewuchs sowie eine Verschiebung der seitlichen Auflageplatten bei einer routinemäßigen Begehung ohne Weiteres zu erkennen gewesen wären, vor allem aber die letzte der Friedhofsverwaltung bekannte Verfügungsberechtigte 18 Jahre vor dem strittigen Vorfall verstorben war, habe sie im Zweifel annehmen müssen, dass sich niemand mehr um die über 100 Jahre alte Gruft kümmern würde.

„Unter diesen besonderen Umständen – die freilich auf städtischen Friedhöfen wegen seinerzeit anscheinend unbefristet vergebener Grabrechte und der Auflösung traditioneller Familienbeziehungen nicht untypisch sein dürften – war die Beklagte verpflichtet, fachkundig zu prüfen oder prüfen zu lassen, ob die Abdeckplatten noch fest auflagen.“

„Hätte nach den Ergebnissen einer solchen Prüfung die Gefahr eines Grufteinsturzes bestanden, wäre die Beklagte zu entsprechenden Sicherungsmaßnahmen verpflichtet gewesen.“

Gewissermaßen als Leitlinie findet sich in dieser Entscheidung abschließend noch eine beachtenswerte Vorgabe des Obersten Gerichtshofs, an alle Friedhofsbetreiber:

„Allgemein gilt: Der Betreiber eines Friedhofs hat aufgrund seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht die im Einzelfall zumutbare fachkundige Prüfung eines Grabmals durchzuführen oder zu veranlassen, wenn dieses offenkundig nicht mehr betreut wird und sich aus dessen Zustand und Alter nicht ganz vernachlässigbare Zweifel an der Standfestigkeit ergeben. Eine bei fachkundiger Prüfung erkennbare Gefahrenquelle hat der Friedhofsbetreiber durch geeignete Maßnahmen abzusichern.“