Tod nach Behandlungsablehnung als Verstoß gegen Schadensminderungspflicht
Eines der zynischsten Erkenntnisse besagt, dass der Tod eines Unfallopfers weniger finanziellen Schaden verursacht, als ein Überleben mit nachfolgender Heilungs-, Rehabilitations- und Pflegebedürftigkeit.
Generell erscheint es diskussionswürdig, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich menschliche Tragödien überhaupt in finanzielle Kategorien transformieren lassen, wie es speziell im Bereich des Schadenersatzrechtes nun einmal erforderlich ist.
Das Dilemma unserer vorwiegend auf den pekuniären Ausgleich fokussierten Gesellschaft zeigt sich aber besonders deutlich, wenn Opfern eine gewisse Verhaltensweise abverlangt wird, etwa um ihrer Pflicht zur Schadensminderung zu entsprechen und dies mit religiösen und/oder weltanschaulichen Standpunkten nicht in Einklang zu bringen ist.
So hatte der Oberste Gerichtshof in einer Entscheidung vom 31.08.2016, 2 Ob 148/15a, Zak 2016/643, 337, der Frage nachzugehen, ob die religiös motivierte Ablehnung einer Bluttransfusion mit Todesfolge einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstellt.
Am 20.06.2005 wurde die Ehefrau des Klägers als Fußgängerin durch einen Lkw-Sattelzug mit polnischem Kennzeichen erfasst und niedergestoßen. Sie erlitt unter anderem ein Überrolltrauma mit traumatischer Oberschenkelamputation. Da sie als Zeugin Jehovas eine entsprechende Willenserklärung abgegeben hatte, wurden ihr keine Blutkonserven zugeführt. Sie starb am folgenden Tag. Das Paar war bis dahin 44 Jahre lang verheiratet und hatte stets zusammengelebt.
Dem Witwer wurde als Alleinerben der gesamte Nachlass eingeantwortet. Er begehrte vom beklagten Versicherungsverband ein Trauerschmerzengeld von € 10.000, Begräbniskosten von
€ 5.772,80 sowie ein Schmerzengeld für die Verstorbene von € 800, insgesamt somit einen Betrag von € 16.572,80 sA.
Der Versicherungsverband wandte ein, das Unfallopfer sei nur aufgrund ihrer Weigerung, eine dem Stand des Wissens und der Technik der Humanmedizin entsprechende Behandlung vornehmen zu lassen, an den Folgen des Unfalls gestorben. Hätte sie eine fach- und sachgerechte Behandlung akzeptiert, wäre sie nicht gestorben. Der Tod sei daher dem Lenker des Sattelzugs nicht adäquat zurechenbar und sie habe überdies gegen die sie treffende Verpflichtung zur Schadensminderung verstoßen. Die Verabreichung einer Bluttransfusion wäre ihr ungeachtet religiöser Erwägungen zumutbar gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Klage letztendlich nur deshalb statt, weil die hypothetischen Ersatzansprüche der Geschädigten im Falle ihres Überlebens (Schmerzengeld, Rehabilitationskosten, Pflegekosten etc) die geltend gemachten Ansprüche des Klägers aus dem Todesfall um ein Vielfaches überstiegen hätten. In juristischer Hinsicht reduzierte sich der Fall somit auf eine rein mathematische Vergleichsrechnung.
Viel bedeutsamer ist jedoch ein in derselben Sache wenige Jahre zuvor ergangener Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 22.06.2011, 2 Ob 219/10k, SZ 2011/76, mit dem über die Frage zu entscheiden war, ob dem Unfallopfer in Anbetracht der verfassungsrechtlich gewährleisteten Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit eine Verletzung der Schadensminderungspflicht überhaupt vorgeworfen werden könne.
Nach Ansicht des erkennenden Senats war die beim Unfall Verletzte in diesen Rechten aber seinerzeit ohnedies nicht beeinträchtigt, weil es ihr als eigenberechtigter Person ja freistand, jegliche medizinische Behandlung und eine Bluttransfusion nach eigenem Belieben abzulehnen.
Allerdings führe diese Entscheidungsfreiheit umgekehrt auch dazu, dass sie alle daraus resultierenden Nachteile selbst zu tragen habe und eben nicht der Schädiger, dessen ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleistetes Grundrecht auf Eigentum andernfalls beeinträchtigt wäre.
Abgesehen davon stünde eine Privilegierung von Mitgliedern der Zeugen Jehovas im Zusammenhang mit der ausnahmslos alle Menschen treffenden Obliegenheit zur Schadensminderung im Verdacht, unter anderem auch gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen.