Drohen notarielle Versorgungslücken?

Aus österreichischer Perspektive klingt die Frage nach drohenden Versorgungsengpässen im Bereich des Notariats wie ein verspäteter Aprilscherz.

Zu unterschiedlich sind die standesrechtlichen und wohl auch wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Verhältnis zu Deutschland, wo rd 1.500 „Nur-Notaren“ rd 5.600 „Anwalts-Notaren“ gegenüberstehen, einer Kombination, die in Österreich berufsrechtlich nicht möglich wäre.

Umso mehr verblüfft den heimischen Leser ein Weck- und Aufruf von ZErberus in der renommierten deutschen ZErb 4/2024 unter dem Titel „Notarinnen und Notar braucht das Land“.

Berichtet wird darin von einer seit Jahren kontinuierlich abnehmenden Anzahl von Notarinnen und Notaren, unter anderem, weil offene Stellen mangels Bewerber nicht besetzt werden können. Die Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Dienstleistungen gestalte sich deshalb „insbesondere in der Fläche“ zunehmend schwieriger.

Weil die Erfahrung zeigt, dass sich so manche Entwicklung bei unseren nördlichen Nachbarn zeitlich verzögert irgendwann auch in Österreich bemerkbar macht, lohnt ein Moment des Innehaltens und vielleicht auch ein kurzer Blick zurück.

Freiberufliche Tätigkeit unterlag ja schon immer ihren eigenen Gesetzen, wenn es um den Berufsnachwuchs und das Image einer speziellen Sparte ging.

Ältere Leser*innen erinnern sich vielleicht an die angebliche „Ärzteschwemme“ der 1980er und 1990er Jahre, als es noch üblich war, „Kassenverträge“ im Zuge der Emeritierung zu verkaufen – gegenwärtig (nicht nur rechtlich) völlig undenkbar.

Längst ihre wohlverdiente Pension genießende Kollegen (*innen erübrigt sich statistisch für diese Zeit) berichten, wie sie in den 1960er und 1970er Jahren von Wohnbaugenossenschaften mit allerlei Einladungen, Geschenken und Versprechungen dringend gebeten wurden, doch bitte die rechtliche und vertragliche Begleitung laufender Bauvorhaben zu übernehmen – das war schon in den 1980er-Jahren „Schnee von gestern“.

Die Übernahme als Berufsanwärter/in in einem Notariat, einer Steuerberatungs- oder einer Rechtsanwaltskanzlei, geschweige denn als Richteramtsanwärter/in galt bis in die 2000er Jahre als überaus erstrebenswert. Chancen für den Eintritt in einen dieser prestigeträchtigen Berufe durfte man sich nur durch entsprechende Beziehungen oder hervorragende Leistungen erwarten.

Wem die gegenwärtige Situation nicht ohnedies aus eigener Erfahrung hinreichend bekannt ist, spaziere einfach durch eine der unzähligen „HR-Messen“, surfe über die namhaftesten „Karrierenetzwerke“ oder versuche, ambitionierte Jungakademiker*innen zu finden und nur mit der Aussicht auf ein schickliches Einkommen für den jeweiligen Beruf zu interessieren.

Allerdings „droht“ schneller als wir es uns wohl alle wünschen würden Abhilfe durch die Segnungen der Technik. Den lesenswerten (Zwischen-) Bericht von Zankl, Das Zeitalter Künstlichen Intelligenz hat begonnen, NZ 2023/188, 529, extrapoliert in die mittlere Zukunft lässt erahnen, wie kleinlich gedacht die aktuellen Sorgen um ausreichend motivierten Berufsnachwuchs in einigen Jahren rückblickend betrachtet sein werden.

Bis dahin sei den verlockenden Unterstützungsangeboten des ZErberus viel Erfolg beschieden, damit möglichst viele Interessent*innen zur Überzeugung finden, dass es lohnenswert ist, „sich der Mühen der notariellen Fachprüfung zu unterziehen, um einen der schönsten Berufe — neben der anwaltlichen Tätigkeit — ergreifen zu können“.

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Foto und Fotobearbeitung: Dr. Johann Schilchegger, © Copyright 2024